Die goldene Königin
lösen sich voneinander und finden sich wieder. Kleidung wird überflüssig. Sie brauchen lediglich einen Schleier, eine schlichte Tunika oder ein Tuch. Es geht darum, dass Beine, Arme, Nacken und Hals bestens zur Geltung kommen.«
Wie sollte sich Alix bei diesem Gespräch um Mathilde und den jungen Maler sorgen, dem sie so sehr zu gefallen schien? Wie sollte sie nach ihr suchen, und wenn auch nur mit Blicken, nachdem sie dem jungen Giulio aus dem Raum gefolgt war? Alix hatte ein paar Mal in Richtung Tür gespäht, durch die sie entfleucht waren, doch sie tauchten nicht wieder auf.
Obwohl sich ihr Geist in Aufruhr befand, lernte sie etwas. Properzia war wie eine Lehrmeisterin für sie. Völlig gebannt hörte Alix ihr zu und konnte den Blick nicht von ihrem lösen.
Warum sollte sie sich um Mathilde sorgen, wenn diese auÃergewöhnliche Frau sie in eine ihr unbekannte Welt zog, deren Weite sie bereits schätzte. Sie empfand die Situation als sehr besonders, und dieses Gefühl verstärkte sich mit der Zeit noch. Mit dieser Frau dachte sie anders, betrachtete ihre eigenen Werke mit anderen Augen und sah sie in einem gröÃeren Zusammenhang.
»Hattet Ihr einen Meister, Alix?«
»Nein. Mein Leben ist sehr ungewöhnlich verlaufen. Als ich mit acht Jahren Waise wurde, wollte ich bereits Weberin werden. Mit dreizehn Jahren habe ich geheiratet und alles von Jacquou, meinem jungen Ehemann, gelernt. In wenigen Jahren haben wir die Werkstatt aufgebaut.«
»Ist er bei Euch in Tours geblieben?«
»Mit zwanzig Jahren wurde ich Witwe, Properzia, habe aber wieder geheiratet. Mein Mann überlässt mir Entscheidungen und Verantwortung. Ohne ihn könnte ich nicht so viel reisen.«
Properzia ergriff instinktiv die Hand von Alix, die von dieser Geste überrascht schien.
»Und Ihr? Wer war Euer Meister?«
»Der Meister meiner Jugend hat mir alles beigebracht. Er hieà Marc-Antonio Raimondi. Ja, er hat mich alles über Zeichnungen gelehrt. Möchtet Ihr einige von ihnen sehen?«
Als ihre Besucherin nickte, fügte sie hinzu:
»Macht es Euch bequem, Alix, und legt Euren Mantel ab. Dann könnt Ihr Euch freier bewegen. Ich bin gleich wieder da.«
Dann verschwand sie in einem Nachbarzimmer und überlieà Alix ihren Gedanken.
Als sie zurückkam, brachte sie gigantische Zeichnungen mit, die sowohl durch ihre GröÃe als auch durch ihre Kraft beeindruckten.
Ãberrascht von dem Charakter, dem Umfang und der gesamten Komposition, brachte Alix kein Wort heraus. Mit einem Lächeln auf den Lippen breitete Properzia vor ihr die Zeichnungen eines monumentalen Werkes aus, das sie für den Hauptaltar von Santa Maria de Braraccano in Bologna in Marmor gearbeitet hatte.
»Das ist gewaltig«, flüsterte Alix und blickte gebannt auf die Zeichnungen. »Die gesamte Harmonie fasziniert mich. Fertigt Ihr nur so gigantische Werke an?«
»Im Augenblick, ja. Ich fühle mich erst gut, wenn das Werk von Bedeutung ist. Es muss mich beherrschen, sonst fühle ich mich irgendwie eingeschränkt.«
Alix drehte und wendete das groÃe Zeichenpergament in ihren Händen. Sie strich mit dem Zeigefinger über eine Falte. Es handelte sich um einen männlichen Körper. Er war in einen Faltenwurf gehüllt, der seine Muskulatur betonte. Wiegende Schultern, Arme und Schenkel füllten den Raum und regten die Phantasie an.
»Die Anatomie ist perfekt«, murmelte Alix. »Es erscheint mir wie das Werk eines Mannes.«
»Ja, aber der Unterschied ist, dass ich eine Frau bin.«
Obwohl es sich um eine gegebene Tatsache handelte, schien sie stolz darauf zu sein.
»Wie viele unüberwindliche Hindernisse habt Ihr im Laufe Eurer Karriere überwunden?«
»Nicht unüberwindlich. Ich habe sie immer überwunden. Aber unzählige. Ich habe nie nachgezählt. Es sind so viele, dass man sie lieber vergessen sollte.«
»Das fällt nicht immer leicht.«
»Ach, ich habe mir offenkundig ein paar Feinde gemacht, die mir an jeder Wegbiegung wieder begegnen, aber ohne sie wäre ich zweifellos nicht dort, wo ich jetzt bin.«
Alix dachte an ihre eigenen Schwierigkeiten und lächelte. In fast heiterem Ton erwiderte sie:
»Oh weh, ich verstehe Euch nur zu gut. Auch ich bin zum Ziel dunkler Machenschaften geworden. Neidische und skrupellose Weber haben sogar meine Werkstätten in Brand gesetzt, weil ich es gewagt
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