Die goldene Königin
amüsierte sich Alix ebenso wie ihre Töchter. Sie erkannte Valentine an dem kleinen Zucken ihrer Oberlippe, während sie Mathilde an einer typischen kaum merklichen Geste identifizierte, mit der sie eine Haarsträhne nach hinten warf.
»Valentine, zeig dem König deine Arbeit.«
Mathilde antwortete: »Es handelt sich um Euren Auftrag, Duchesse dâAngoulême, die Tapisserie mit den Emblemen der Robertets .«
Valentine betrachtete ihre Schwester. Sie war überrascht, wie detailliert sie zu dem Werk Auskunft gab, nachdem zuvor nichts darauf hingedeutet hatte, dass sie überhaupt von seiner Existenz wusste. Sie hielt sich zu selten in der Werkstatt auf.
»Valentine webt die Sterne«, sagte sie schnell, um zu verhindern, dass ihre Mutter fortfuhr, »und ich webe die Misteln. Nicolas macht die Füllhörner.«
»Wer ist Nicolas?«
Das hatte der König gefragt.
»Das ist mein Verlobter«, antwortete Mathilde rasch.
»Nein«, entgegnete Valentine, »er ist mein Verlobter.«
»Dieser glückliche Nicolas kann allerdings nicht Euch beide heiraten«, lachte François.
»Das ist erstaunlich«, murmelte Louise, »ich dachte, ich würde Mathilde kennen, und plötzlich erkenne ich sie nicht mehr. François, ich habe dich noch nie so unschlüssig erlebt.«
Deutlich amüsiert von diesem Schauspiel, strich sich der König über das Kinn. Er wandte den Blick erst der einen, dann der anderen zu.
»Welche habe ich an einem Wintertag, als es schneite, auf mein Pferd gehoben?«, fragte der König. »Das Mädchen war vier Jahre alt.«
»Und jetzt, Sire, wer reitet wie eine richtige Reiterin?«
»Ah! Ihr seid Mathilde?«
»Wer würde Euch gern eines Tages kennenlernen, Sire?«, sagte die andere.
»Seid Ihr Valentine?«
Die zwei Mädchen wiegten bedächtig die Köpfe.
»Nun, François«, erklärte Louise bestimmt. »Du musst dich damit abfinden. Euer Spiel ist nun zu Ende.«
»Mutter!«, rief der König, »das Spiel fängt gerade erst an. Ich möchte Gewissheit haben. Los, Marguerite, hilf mir!«
»Sie ähneln sich zu sehr. Es ist unmöglich, sie auseinanderzuhalten. Sie müssten uns helfen, aber offensichtlich weigern sie sich.«
François mochte schöne Mädchen viel zu sehr, um aufzugeben, und Gott, wie verführerisch diese zwei Schlingel waren. Und da das Publikum das Spiel mitmachte und ihre Mutter sich zu amüsieren schien, beschloss er, die Sache noch etwas weiter zu treiben. Er ging auf Valentine zu und drückte sanft seine Lippen auf ihre. Er spürte, dass sie darauf nicht reagierte, und entfernte sich langsam. Dann bemerkte er eine frische Röte auf ihren Wangen.
Als er sich zu ihrer Schwester umdrehte, begegnete er ihrem beinahe vorwurfsvollen Blick. Doch sie tat, als ignorierte sie den Kuss ihrer Zwillingsschwester, und bot dem König ihren Mund dar. Er küsste sie voller Zärtlichkeit. Wie die Flügel eines Schmetterlings, die sich in der Sonne streiften, berührten sich zaghaft ihre Lippen. Dann wurde François etwas drängender und empfand eine innere Wärme und Kraft, und nun spürte er den Unterschied. Diese Lippen bebten an seinen und sehnten sich danach, sich zu öffnen. Mathilde erwiderte seinen Kuss, sie zitterte, und wenn er das Spiel noch weitergetrieben hätte, hätte er gespürt, wie ihr Herz zersprungen wäre. Ja! Das war die wagemutige Mathilde.
Er lieà alsbald von ihr ab, um die Umstehenden nicht zu beschämen, und schloss fröhlich:
»Gehen wir! Ich werde also aufbrechen, ohne zu wissen, wer welche ist.«
Doch darüber würde er mit Mathilde noch einmal unter vier Augen sprechen. Bevor er die Werkstatt verlieÃ, drehte er sich um und sagte:
»Ich erwarte Euch beide, schöne Demoiselles. Ich möchte, dass Ihr Seite an Seite die Reise mit mir fortsetzt.«
9.
Die Kutsche von Alix folgte der von Louise. Leo passte sich dem mäÃigen Tempo des königlichen Gefolges an. Eingekeilt zwischen ihren zwei Töchtern, betrachtete Alix hin und wieder den wolkenlosen blauen Himmel. Um Valentine nicht mit ihrer Mutter allein zu lassen, hatte Mathilde beschlossen, nicht wie üblich am Kopf des Zuges mitzureiten.
Alix genoss die Zeit vollkommener Entspannung mit ihren Zwillingen, fürchtete jedoch, dass Properzia in ihrer Abwesenheit eintraf und sie ihre Freundin
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