Die goldene Königin
Duchesse dâAlençon vor, der Schwester des französischen Königs, die bestätigt, dass Charles dâAmboise bei einer Einladung auf ihrem Gut in der Normandie lange von jenen Wandteppichen gesprochen hat, die er Alix de Cassex anvertraut hat. Es fällt uns schwer, an den Worten der Schwester des französischen Königs zu zweifeln. Das werdet Ihr sicher verstehen, Maître Bellinois.«
»Das beweist noch nicht, dass ich einen Wandteppich gestohlen habe«, krächzte der Weber. »Ganz im Gegenteil, ich erwarte, dass Dame de Cassex mir erklärt, warum die Galanterien erneut verschwunden sind.«
Ach! So nahm das Ganze nie ein Ende. Um die Geschichte in die Länge zu ziehen, hatte sich Bellinois einer List bedient. Als er bemerkt hatte, dass die Angelegenheit sich mit jeder Anhörung mehr zu seinen Ungunsten entwickelte und ihn der Brief der Duchesse dâAlençon eindeutig in Verruf brachte, hatte er den Wandteppich an einem geheimen Ort versteckt und behauptete nun, Alix habe ihn gestohlen.
»Diese Frau ist nicht über jeden Verdacht erhaben«, schrie der Staatsanwalt heftig und aggressiv. »Sie soll ihre Unschuld beweisen! Sie soll beweisen, dass sie Maître Bellinois den Teppich nicht gestohlen hat.«
»Warum sollte ich eine solche Dummheit begehen?«, rief Alix auÃer sich. Vor lauter Aufregung waren ihre Wangen stark gerötet.
Das war der Gipfel, die Angelegenheit wendete sich gegen sie. Wie sollte sie beweisen, dass sie nicht die Diebin war? Sie stürzte sich auf Maître Bellinois, der auf den Staatsanwalt setzte und plötzlich wieder Hoffnung schöpfte, und packte ihn mit aller Kraft am Schlafittchen. Aber was nun? Der kleine Mann lachte höhnisch und machte sich los.
»Aber, aber, Dame de Cassex! Ich bitte Euch, beruhigt Euch. Sonst unterbrechen wir die Verhandlung und vertagen sie.«
»Meinetwegen, vertagen wir sie!«, entgegnete der Staatsanwalt.
»Nein!«, rief Alix und erbleichte. »Das Ganze dauert nun bereits zehn Jahre. Dieser Mann muss endlich für schuldig und ich für unschuldig erklärt werden.«
Doch zur Begeisterung von Maître Bellinois fuhr der Staatsanwalt fort: »Um die Angelegenheit abzuschlieÃen, brauchen wir einen Beweis von Dame Alix de Cassex, dass sie diesem Mann das Werk nicht gestohlen hat.«
»Aber das ist doch absurd!«, schrie Alix. »Ich bin die Klägerin, nicht er. Ich klage seit zehn Jahren, dass er mir einen Wandbehang gestohlen hat, und nun soll auf einmal ich ihn bestohlen haben! Wen wollt Ihr hier zum Narren halten? Herr Richter, ich verlange Wiedergutmachung.«
Fassungslos über die Wende der Ereignisse, fühlte Alix sich in die Zeit vor zwanzig Jahren zurückversetzt, als die Mitglieder der Gilde sie beschuldigt hatten, ihr Meisterstück kopiert zu haben. Aber heute hatte sie keinen Kardinal Jean de Villiers und keinen Bankier Alessandro van de Veere, die sie beschützten. Sie hatte nur ihre Erfahrung und den Ruf ihrer Werkstätten. Sie verfügte zwar über Verbindungen, die sich sicher zu ihren Gunsten auswirken würden, aber momentan war niemand da, um sie zu unterstützen.
»Diese Frau ist eine Lügnerin«, sagte Bellinois. »Sie hat die Galanterien in einer anderen Werkstatt in Tours versteckt.«
»Ihr seid verrückt! Die Werkstätten von Tours! Es gibt praktisch nur noch unsere. Die anderen sind alle in Paris.«
Nachdem die Aufträge für die Weber von Wandteppichen weniger geworden waren, hatte die französische Hauptstadt wieder Aufschwung bekommen. Die Werkstätten mit den Hochwebstühlen lagen jetzt um den Boulevard Saint-Marcel wie einst um den Boulevard Saint-Jacques.
»In Tours gibt es nur noch die Werkstätten an der Place Foire-le-Roi«, versicherte Alix in energischem Ton. »Na los, beschlagnahmt sie. Kommt, meine Herren, durchsucht meine Werkstätten, bringt alles durcheinander, werft alles um, und zerstört es, wenn Ihr wollt.«
»Genau das werden wir tun«, rief der Staatsanwalt eiskalt.
Bei den letzten Worten schlug der Richter dreimal kurz mit seinem Hammer auf den Tisch.
»Vertagen wir die Verhandlung.«
»Meinetwegen, vertagen wir die Verhandlung. Aber das nächste Mal, Herr Richter, erhaltet Ihr nicht nur einen Brief von der Schwester des französischen Königs, sondern vom französischen König selbst. Und wenn Ihr ihm nicht glaubt, wartet
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