Die goldene Meile
Wand.
»Die hängen schief«, sagte Arkadi.
»Sie verrutschen. Das sind die Vibrationen von den Zügen. Manchmal wackelt das ganze Gebäude.«
Arkadi las das englische Motto, das auf jeder Urkunde stand. »>Kooperation Keeps Us Free.< Was heißt das?«
»Terroristen kooperieren auf einem globalen Level. Wir müssen dasselbe machen.«
»Gut. Dann kooperieren Sie mit mir.«
»Sie sind ziemlich kess.«
»Das tote Mädchen in dem Bauwagen. Das war in Ihrem Revier. Wieso haben Sie der Leitstelle nicht geantwortet?«
Rudd ging steifbeinig zu seinem Schreibtisch und ließ sich behutsam in den Sessel sinken. »Renko, Sie haben versucht, mich als Kopf eines Prostitutionsrings dranzukriegen. Zum Glück fand der Staatsanwalt Ihre Beweise nicht stichhaltig. Die Gerechtigkeit siegte, und Sie durften nach Hause gehen und an Ihrem Schwanz spielen. Warum sollte ich jetzt mit Ihnen reden?«
»Weil Sie sonst niemanden zum Reden haben. Dieser Laden ist leer.«
»Das stimmt. Sie sind alle unterwegs und bearbeiten ihre Fälle. Echte Fälle.«
»Stört es Sie, wenn ich rauche?«
»Von mir aus stecken Sie sich das Ding ins Auge. Ich kann einfach nicht fassen, dass Sie die Stirn haben, hier hereinzuspazieren.«
»Wie würde es Ihnen gefallen, das Ganze zu wiederholen?«
»Was zu wiederholen?« »Eine Ermittlung gegen Sie.« »Da würden Sie wieder verlieren.«
»Aber es war teuer, nicht wahr? Wie viele Leute haben Sie bezahlen müssen? Wie ich mich erinnere, hatten Sie Anwälte.«
»Verdammte Blutsauger.« Normalerweise drohte Rudd mit körperlicher Gewaltanwendung. Der Sonnenbrand beeinträchtigte ihn offensichtlich. »Der Staatsanwalt hat gesagt, er hat Sie sozusagen ins Tiefkühlfach gelegt.«
»Aber ich bin hier.«
»Was wollen Sie? Sie wollen doch immer etwas.« »Eine kleine Unterhaltung.«
»Na, Sie greifen vor. Ein Ermittler wird erst tätig, wenn die Polizei fertig ist.«
»Es ist nicht mein Fall. Ich war zufällig mit Leutnant Orlow unterwegs, als der Ruf von der Leitstelle kam.«
»Als ich Orlow das letzte Mal gesehen habe, konnte er nicht mehr gerade genug pissen, um eine Scheune zu treffen.«
»Er kann inzwischen besser zielen.«
»Gut. Dann sollte er mit einem simplen Fall von Überdosis fertig werden.«
»Wir bezweifeln, dass es so simpel war.«
»Eine tote Schlampe ist doch wie die andere.«
Arkadi reichte Rudd sein Handy. Veras Foto füllte das Display aus. Der Tod verlieh ihr eine Stille, die ihre Jugend nur umso ergreifender wirken ließ. Arkadi wartete, bis der Oberst sich sattgesehen hatte.
Rudd zuckte die Achseln. »Okay, sie war ein hübsches Mädchen. Moskau ist voll von hübschen Mädchen.«
»Sie gehörte nicht zu Ihren Pferdchen?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen. Ein Revierkommandant hat wenig Kontakt mit der allgemeinen Öffentlichkeit, es sei denn, jemand wird ermordet oder angezündet.«
»Angezündet? Passiert das oft?«
»Sie wissen ja, wie Kinder sind. Haben Sie Zeugen?«
»Leutnant Orlow befragt die Leute in der Umgebung.«
»In diesem Monstrositätenkabinett? Die Leute hier sehen Käfer so groß wie Hunde.«
»Sie wurde in einem Bauwagen gefunden, fünfundzwanzig Meter weit von hier entfernt. Ein Stromkabel führt von der Rückseite des Reviers zu dem Wagen. Der Wagen gehört Ihnen.«
Rudd schob Arkadis Handy über den Schreibtisch zurück. »Es ist ein verlassener Bauwagen. Darf ich fragen, ob das Mädchen vergewaltigt wurde? Verprügelt? Gab es irgendwelche außergewöhnlichen Umständet«
»Ich glaube, die Leiche wurde nach dem Tod zurechtgelegt. Man hat ihr die Unterhose ausgezogen und sie zur Schau gestellt. Das kommt mir >außergewöhnlich< vor.«
»Wirklich? Wie außergewöhnlich ist es, dass eine Prostituierte sich das Höschen auszieht? Wenn ich mich recht erinnere, werden sie dafür bezahlt. Und >zur Schau gestellt<, sagen Sie? Manche Kunden wollen nur gucken. Jeden Tag kommen Mädchen vom Land in die Stadt, um sich ficken oder angucken zu lassen oder was weiß ich noch alles. Wir haben eine Flut von denen. Sie fangen an zu fixen, und natürlich verpassen sie sich irgendwann eine Überdosis. Sie gehören nicht gerade zu den Gescheitesten. Aber wir verschwenden unsere Zeit nicht mit Drogentoten.«
»Sondern Sie begraben sie, so schnell Sie können.«
»Das Leben ist unfair. Warum sollte es mit dem Tod anders sein?«
Ein hörbares Beben ging durch das Gebäude, als zweihundert Tonnen Diesellokomotive auf einem nahen Gleis herandonnerten. Die Urkunde aus
Weitere Kostenlose Bücher