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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Gatten zu ertragen, und am Ende des Abends müssen sie noch nüchtern genug sein, um den alten Sack auszuziehen und ins Bett zu bringen.«
    »Und mich nennt man einen Zyniker? Wir werden diese Unterhaltung fortsetzen, aber jetzt muss ich auf die Bühne gehen und unsere Freunde daran erinnern, großzügig zu sein.« Waksberg schenkte Anja und Arkadi Champagner ein. »Fünf Minuten.«
    Arkadi verstand nicht, weshalb Aleksander Waksberg auch nur eine Minute mit einem so unmanierlichen Gast wie ihm verbrachte. Er beobachtete, wie Waksberg sich über den Tanzboden bewegte. Ein Milliardär. Wie viel war eine Milliarde? Tausend Millionen Dollar. Kein Wunder, dass bloße Millionäre zur Seite traten, als käme ein Elefant vorbei.
    »Und Sie sind hier, um die Person zu finden, die Sie eingeladen hat?«, fragte Anja.
    »Nicht mich. Nicht persönlich.«
    »Das klingt spannend.«
    »Wir werden sehen.«
    Er legte ein postkartengroßes Foto von Vera auf den Tisch, die von einer dreckigen Matratze heraufstarrte. Anja fuhr zurück. »Wer ist das?« »Ich weiß es nicht.« »Sie ist tot.«
    Alle Schönheit der Welt konnte diese Tatsache nicht verschleiern. In ihren Augen glänzte kein Licht, kein Atemzug strich über ihre Lippen, und sie hatte nichts gegen die Fliege, die ihr Ohr untersuchte.
    »Warum zeigen Sie mir dieses Bild?«
    »Weil sie einen VIP-Pass für die Messe hatte.«
    »Möglicherweise ist sie eine der Tänzerinnen aus dem Haus. An ihren Namen kann ich mich nicht erinnern. Die Tänzerinnen wechseln hier ständig. Sie ist jung. Dima, hast du sie schon mal gesehen?«
    Der Bodyguard spähte über Anjas Schulter.
    »Nein. Ich werde dafür bezahlt, auf Krawallmacher zu achten, nicht auf Mädchen.«
    »Und wenn Sie Krawallmacher finden?« Arkadi war neugierig.
    Dima schlug sein Jackett zurück und ließ Arkadi einen Blick auf eine mattschwarze Pistole werfen. »Eine Glock. Deutsche Ingenieursarbeit versagt nie.«
    »Ich dachte, im Club wären Schusswaffen verboten.«
    »Nur nicht bei Sascha und seinen Jungs«, sagte Anja. Der Club gehört ihm. Er bestimmt die Regeln, wie es ihm passt.«
     
    Die Musik wurde unterbrochen, und Waksberg hielt eine überraschend aufrichtige Rede über obdachlose Kinder. Zwischen fünf- und vierzigtausend lebten auf den Straßen von Moskau; genaue Zählungen gebe es nicht, sagte er. Die meisten waren von daheim weggelaufen, Jungen und Mädchen, oft nicht älter als fünf, die lieber auf der Straße lebten als in einer Familie, die durch Alkohol, Brutalität und Missbrauch zerstört worden war. Im Winter erfroren sie. Sie hausten in verlassenen Gebäuden und lebten von Kleindiebstählen und Restaurantabfällen. Waksberg deutete auf die Helferinnen mit den Sammelkörbchen. »Denken Sie daran, Ihre Spenden kommen zu hundert Prozent bei Moskaus unsichtbaren Kindern an.« Dann drehte sich der Plattenteller wieder, und der unbarmherzige Beat ging weiter.
    »Sie haben kein Wort mitbekommen«, sagte Waksberg, als er zu ihnen heraufkam. »Sie wissen nur, wann sie klatschen müssen. Genauso gut könnte ich vor dressierten Seehunden sprechen.«
    Anja drückte Waksberg einen Kuss auf die Wange. »Deshalb liebe ich Sie. Weil Sie ehrlich sind.«
    »Nur bei Ihnen, Anja. Ansonsten lüge und betrüge ich ganz so, wie Ermittler Renko es sich vorstellt. Ich wäre tot, wenn ich es nicht täte.«
    »Wo liegt das Problem?«, fragte Arkadi.
    »Sascha hat Drohungen bekommen. Ich meine, mehr als sonst.«
    »Vielleicht sollte er dann den Kopf einziehen, statt eine Party für tausend Gäste zu geben.«
    Arkadi hatte nicht vor, einen Milliardär zu bemitleiden, nicht einmal einen, der so erschöpft aussah wie Waksberg. Er schien immer mehr im Schatten zu verschwinden, mit müden Schultern und einem gezwungenen Lächeln. Er war der Kopf der Waksberg-Gruppe, einer internationalen Kette von Kasinos und Ferienanlagen. Er hätte von einer Armee von Rechtsanwälten, Steuerberatern, Croupiers und Küchenchefs umgeben sein müssen, nicht nur von einer Journalistin, einem abgehalfterten Ermittler, einem einzigen Leibwächter und einem betrunkenen Zwerg. Das war ein Absturz von historischer Dimension. Waksberg war einer der Letzten der ersten Oligarchen. Er besaß immer noch ein Vermögen und hatte Beziehungen, aber mit jedem Tag, an dem seine Betriebe geschlossen blieben, verschlechterte sich seine Lage.
     
    Die Hausbeleuchtung verdunkelte sich, und als sie wieder aufstrahlte, posierten die Tänzerinnen des »Club Nijinski« mit

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