Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
kann nicht fassen, dass du noch nie ein Handy benutzt hast. Noch nie SMS verschickt? Videos aufgenommen?« »Nein.«
    »Woher kommst du eigentlich?« »Würdest du nicht kennen.« »Lass es drauf ankommen.« »Hat keinen Sinn.« »Wieso nicht?«
    »Weil es keinen Sinn hat. Also, jetzt habe ich ein Telefon. Und was mache ich damit? Ich kenne keinen, den ich anrufen kann.«
    »Du kannst mich anrufen. Ich habe meine Nummer auf die erste Kurzwahltaste gespeichert.« »Kannst du sie wegmachen?« »Willst du meine Nummer nicht?«
    »Ich will von niemandem den Namen oder die Nummer. Kannst du sie wegmachen?«
    »Natürlich. Ich lösche sie. Kein Problem.«
    Es war trotzdem ein peinlicher Augenblick. Er hatte schon wieder die Grenze überschritten. Er war erleichtert, als er auf dem Nachbartisch ein Schachbrett sah. Ein elektronisches Schachspiel, genau gesagt. Der Mann, der sich darüberbeugte, war ungefähr fünfzig Jahre alt und hatte einen grauen Bart, aus dem eine rote Nase hervorstach. Mit einem fast unverständlichen britischen Akzent bestellte er sich noch einen Gin. Schenja sah, dass das Spiel auf den mittleren Schwierigkeitsgrad eingestellt war. Es tat weh, zu sehen, wie ein erwachsener Mann sich von einem Motherboard besiegen ließ.
    Im Flüsterton sagte Schenja zu Maja: »Uns wird das Taschengeld knapp. Lass mich fünf Minuten allein.«
    »Ich bin in der Haupthalle. Und ruf deinen Freund, den Ermittler, nicht an.«
    »Fünf Minuten.«
    Er wartete, bis sie gegangen war, bevor er sich seinem Nachbarn zuwandte. Der Mann sah exzentrisch aus, irgendwie professorenhaft, ganz so, wie Schenja es bei einem Engländer erwartete.
    »Schwieriges Spiel.«
    »Wie bitte?«
    »Schach. Ein schwieriges Spiel.«
    »Na, das ist es ganz sicher, wenn man gegen einen leeren Raum spielt, gegen ein Vakuum sozusagen. Sehr verwirrend.«
    »Ich weiß, was Sie meinen. Ich habe die gleiche Maschine. Schlägt mich jedes Mal.«
    »Das heißt, du spielst ebenfalls. Was für ein Glück. Hör zu, wenn dein Zug nicht jeden Augenblick fährt, könnten wir vielleicht eine Partie einschieben. Kannst du Schnellschach spielen?«
    »Blitz? Ich hab's ein- oder zweimal gespielt.« »Fünf Minuten und Sudden Death. Dieser Computer hat eine Uhr. Hast du Lust?« »Wenn Sie möchten.« »Deine Freundin hätte nichts dagegen?«
    »Die stört's nicht.«
    »Henry.« Schenja kam an seinen Tisch, und sie wechselten einen Händedruck. »Iwan.«
    Knapp zu gewinnen war eine Kunst. Henry brachte seine Dame zu früh ins Spiel, deckte seine Türme nicht und ließ seine Springer untätig am Rand herumstehen. Schenja machte selbst ein paar umsichtige Fehler und setzte den König des Engländers erst nach einem zufriedenstellenden Blutbad auf beiden Seiten matt.
    Henry war gutmütig und zwinkerte ihm begeistert zu. »Der Jugend den Vortritt. Aber das Spiel sieht ganz anders aus, wenn es um Geld geht. Wenn es Konsequenzen hat. Hast du das schon mal gemacht? Dich den Konsequenzen gestellt?«
    »Ja. Ich habe mal zehn Dollar gewonnen.« »Dann bist du ja praktisch ein Profi. Wir wär's? Noch eine Partie?«
    Schenja gewann zehn Dollar und dann zwanzig. Henry stellte die Figuren wieder auf. »Wie wär's jetzt mit hundert?«
     
    Jegor ließ sich neben Maja auf den Sitz gleiten und flüsterte: »Ich höre, du suchst ein Baby.«
    Maja erstarrte, als ringelte sich eine Schlange zu ihren Füßen. Plötzlich war es beruhigend, von einem Heer von Reisenden im Wartesaal umringt zu sein, ob sie nun schliefen oder nicht.
    »Wo hast du das gehört?«
    »Du hast jeden Zweiten in diesem Bahnhof gefragt. Das spricht sich herum. Ein Baby? Das ist wirklich eine Schande. Das ist richtig krank. Einen, der so was tut, würde ich umbringen. Wirklich. Wenn ich dir helfen kann, musst du es nur sagen. Im Ernst.«
    Im grellen Licht der Leuchtstoffröhren im Tunnel hatte Jegor schon riesig ausgesehen, aber im Halbdunkel des Wartesaals schien er sich noch weiter auszudehnen.
    »Das Problem ist, dass die Leute dir nicht glauben. Sie glauben, du hattest gar kein Baby. Ich weiß aber, dass du eins hattest, weil du mir meinen schönen weißen Seidenschal versaut hast. Das war ein Versehen, ich weiß schon. Mach dir keine Sorgen deshalb.«
    Sie blieb stumm, aber sie war nicht völlig überrascht, Jegor zu sehen. Halb hatte sie die ganze Zeit mit ihm gerechnet, seit er im Tunnel die Hände auf sie gelegt hatte.
    »Ich nehme an, das Genie arbeitet an dem Fall«, sagte Jegor. »Das Genie ist der gescheiteste

Weitere Kostenlose Bücher