Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
Vom Netzwerk:
besonderer Platz. Der Rest der Welt trat in den Hintergrund und ließ sie allein mit Katja und dem Zirpen von Millionen Insekten. Sie hatte ihnen noch nie zugehört. Sie hatte auch noch nie gebetet.
    »Eine gute und eine schlechte Nachricht«, berichtete der Autoschlosser den Männern in der Lounge. »Der neue Reifen ist aufgezogen, aber wir haben ein kleines Problem mit dem Schalldämpfer. Die Schrauben sind komplett festgerostet. Ich hab's mit Graphit versucht, mit Schraubenschlüssel und Stemmeisen. Als Nächstes nehme ich die Säge. Könnte aber sein, dass ich noch zwanzig Minuten dranhängen muss.«
    »Könnte sein, dass man dir eine Pistole in den Arsch schieben muss.«
    Maja beschloss, das Baby so lange wie möglich am Leben zu halten, aber wenn es sein müsste, würde sie es selbst umbringen, bevor man es quälte.
    »Cheers!« Matti hob ein Glas Wodka. Die Gärtner ignorierten ihre Gläser, obwohl er sie ihnen randvoll hingestellt hatte. »Nicht? Und wenn ihr euch abwechselt? Ein einzelner Finne gegen zwei Russen? Das ist eine faire Chance.«
    »Arschloch«, sagten die Gärtner und hoben die Gläser.
    Motorengeräusch übertönte das Summen der Insekten, und ein Bus erschien im Hitzeflimmern auf der Straße.
    »Noch einen winzig kleinen.« Matti goss die Gläser noch einmal randvoll mit Wodka.
    Es war ein Militärbus mit Rekruten - lauter Sir Galahads, als sie ein Mädchen am Straßenrand sitzen sahen.
    Die Gärtner sprangen auf. »Du hast gesagt, hier fährt kein Bus. Jetzt kommt ein Bus, und unser Wagen steht auf der Scheiß-Hebebühne.«
    »Hier fährt kein Bus«, sagte Matti. »In der Nähe ist eine Kaserne. Manchmal kommt ein Bus oder ein Laster von denen hier vorbei.«
    Die Tür am Bus öffnete sich, und Maja stieg zögernd ein, als befürchte sie, Bus und Soldaten könnten sich vor ihren Augen in Luft auflösen.
    Die Gärtner rannten quer über den Parkplatz. Der eine zog eine Pistole, aber der andere befahl ihm, sie wieder einzustecken.
    Los, los, winkte Matti.
     
    Zuerst musste Maja hundert Fragen über sich ergehen lassen. Nach einer Weile entspannten sich die Soldaten im Wohlgefühl einer guten Tat, und sie fuhr unbehelligt in die Stadt.
    Ein Markt umgab den Bahnhof. Majas Geld war in ihrem Zimmer im Club, aber das Trinkgeld vom letzten Abend war mehr als genug für eine Jeans, eine gebrauchte Lederjacke und einmal Haarefärben in dem Salon im Bahnhof, wo die Friseusen sich bewundernd um Katja drängten. Erst als sie sich verwandelt hatte, ging Maja zum Fahrkartenschalter und kaufte ein Ticket für den Nachtzug nach Moskau. Holzklasse. Sie war noch nie in Moskau gewesen, aber sie nahm an, dass man sich dort gut verstecken konnte.
    »Es geschehen noch Wunder. Wir haben Glück«, flüsterte sie dem Baby zu, als der Zug abfuhr, und sie lachte vor Freude. Man hatte ihr die größte Kostbarkeit der Welt anvertraut, und sie hatte sie erfolgreich beschützt. Von jetzt an würde alles anders sein.
    Katja regte sich. Bevor sie anfangen konnte zu weinen, ging Maja in den Vorraum am Ende des Wagens und legte das Kind an die Brust. Als das erste drängende Zappeln des Babys vorbei war, gönnte sich Maja eine Zigarette. Von ihr aus hätte dieser Augenblick ewig dauern können. Sie schaute hinaus auf die Felder, die im Mondlicht leuchteten, und schmuggelte ihr Baby in die Welt.
    Dass ein betrunkener Soldat zu ihr herauskam, hörte sie erst, als die Tür sich klickend hinter ihm schloss.
    Das war vor einer Ewigkeit, dachte Maja. Mindestens zwei Tage. Na, was ein Luder war, benahm sich auch wie ein Luder. Sie schloss die Augen und wartete, bis Schenja schlief. Dann nahm sie den Rest Geld aus seinem Rucksack und verließ das Kasino.
     

VIERZEHN
    Arkadi rief Viktor aus der Tänzerinnengarderobe an und berichtete ihm, das Mordopfer, das sie Vera nannten, sei als Vera A. Serowa identifiziert, neunzehn Jahre alt, Studentin an der Moskauer Staatsuniversität. Er nehme an, da der Leutnant für diesen Fall zuständig sei, wolle er vielleicht in den »Club Nijinski« kommen und an den Ermittlungen teilnehmen.
    »Ich kann nicht weg. Ich lasse mir ein Tattoo machen.« »Jetzt? Um diese Zeit?«
    »Kein Problem. Der Laden ist die ganze Nacht offen.«
    Arkadi wusste nicht, was er sagen sollte. Er ging in dem engen, hell erleuchteten Kämmerchen, das den Tänzerinnen zugestanden wurde, auf und ab. Eine Theke war übersät mit benutzten Papiertüchern, Tiegeln mit Grundierung, Puder und Rouge, Coldcream, Lippenstiften und

Weitere Kostenlose Bücher