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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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»Wer konnte ihr das antun?«
    »Ich weiß es nicht.« Er beschrieb die Umstände, unter denen das Mädchen gefunden worden war. »Gekleidet wie eine Prostituierte, tätowiert wie eine Prostituierte, auf dem Bett einer Prostituierten, mit dem K.-o.-Pulver einer Prostituierten in ihrem Besitz.«
    »Ich habe keine Erklärung. Das ist nicht die Vera, die ich kannte.«
    »Und die war?«
    »Ein freier Geist, könnte man sagen.« »Sexuell frei?«
    Das weckte ein wehmütiges Lächeln. »Jeder ist anders. In einer Balletttruppe gibt es drei oder vier Geschlechter. Vera war von Anfang an beliebt, und Männer wie Frauen fühlten sich zu ihr hingezogen wie Bären zum Honig. Sie war ehrgeizig. Von einem Dutzend Millionären hätte sie jeden beliebigen haben können. Warum sollte sie sich bei den Drei Bahnhöfen verkaufen?«
    »Wissen Sie, wer diese Männer sind?«
    »Ich kann Ihnen eine Liste geben, aber die wäre unvollständig und veraltet. Sie war ein unbeständiges Mädchen. Wohnte im Studentenwohnheim der Universität. Sie sollten dort mit ihrer Zimmergenossin sprechen.«
    »Was hat sie studiert?«
    »Fremdsprachen. Internationale Politik.«
    Arkadi war beeindruckt. Internationale Politik war normalerweise der Elite vorbehalten. Arkadi fiel es selbst schwer, das zu glauben, aber er hatte auch einmal zu Moskaus Jeunesse doree gehört. Als die Dinosaurier noch die Erde beherrschten.
    »Wie ist sie mit den anderen Tänzerinnen zurechtgekommen?« »Gut.«
    »Keine speziellen Feinde?« »Nein.«
    »Keine speziellen Freunde?« »Nein.«
    »Haben Sie ein Gespräch mit ihr geführt, bevor Sie sie als Tänzerin engagiert haben?«
    »Selbstverständlich. Das hier ist zwar nicht das Bolschoi. Ich bin eher Zierrat als Lehrerin, und die Mädchen machen mehr oder weniger, was sie wollen. Aber es ist doch der >Club Nijinski<. Die Leute erwarten jede Woche ein neues wildes und verrücktes Motto, aber für das Geld, das sie hierlassen, immer auch einen Hauch von Kultur. Nicht allzu viel, vielleicht zehn Sekunden. Ein paar Pirouetten oder ein Tableau vivant. Die Mädchen stehen Schlange, um im >Nijinski< zu tanzen, wo all die reichen Männer sie bewundern und anhimmeln.« Sie zündete sich eine Zigarette an und blies dramatisch den Rauch von sich, der sich zu Arabesken kräuselte. »Sie anbeten.«
    »Lebt ihre Familie in Moskau?«
    »Ihre Eltern sind bei dem Bombenanschlag in der Metro ums Leben gekommen, und ihr Bruder bei der Armee. Er hat sich erhängt.«
    »Warum?«
    »Er war schwul.«
    Das sagte wenig und doch genug. Dass neue Rekruten bei der Roten Armee schikaniert wurden, war normal. Für »Homos« war es Folter.
    »Wann ist das passiert?«
    »Um Neujahr herum. Sie war bestürzt, aber nicht übermäßig. Sie war eine zielstrebige Person, und deshalb ergibt das hier« - sie deutete auf das Foto von Vera in dem Bauwagen -»überhaupt keinen Sinn.«
    »Hat sie sich gut gekleidet?«
    »Jedenfalls nicht billig oder schäbig.«
    »Aber keine Brillanten.«
    »Nein.«
    »Und heute Abend haben Sie Ihre Tänzerinnen in den fünf Grundstellungen des Balletts posieren lassen, nur nicht in der vierten. Sollte das Vera tun?«
    »Ja.«
    »Warum hat niemand ihren Platz eingenommen?«
    »Vera ist oft erst im letzten Moment aufgetaucht. Ich gebe zu, dass ich ihr Zugeständnisse gemacht habe. Das Mädchen hatte die volle Last eines Studiums zu tragen. Das habe ich respektiert.«
    »Haben Sie ihr Fehlen gemeldet?«
    »Das hätte ich, wenn sie eine Woche weggeblieben wäre. Sie hatte ein aktives gesellschaftliches Leben. Das gehört dazu, wenn man jung ist, oder? Diese Energie.«
    »Hat sie je Drogen genommen?«
    »Das tut keins meiner Mädchen. Sonst würden sie auf der Stelle gefeuert. Das dulde ich nicht.«
    »Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?« »Donnerstagnachmittag bei der Probe.« »Wann genau?«
    »Von zwei bis fünf. Wir proben nur zweimal in der Woche, denn, wie ich schon sagte, die Tänzerinnen entwickeln ihre Choreographie zum größten Teil selbst. Ich verlange nur, dass sie nicht vom Laufsteg fallen.«
    »Und ihre Stimmung war ...«
    »Fröhlich, wie immer.«
    »Helfen Sie mir auf die Sprünge. Das Motto an diesem Wochenende war ...«
    »Misshandelte Kinder. Mädchen vor allem. Ich habe Kostüme zusammengestellt, die eine Mischung von verschiedenen Elementen enthielten, zum Beispiel Lolita, Hello Kitty, japanisches Schulmädchen, die Ballettphase bei kleinen Mädchen. «
    »Ich hab's gesehen. Da schien etwas zu fehlen.« »Was

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