Die goldene Meile
den sie zu Hause besuchte oder der zu ihr nach Hause kommen wollte. Auf ärztliche Anweisung nahm sie nicht am Sport oder an außerschulischen Aktivitäten teil. Ein Auto brachte sie morgens zum ersten Läuten in die Schule und holte sie nach Schulschluss wieder ab, und so hatte Maja vier Stunden Zeit zum Essen und für die Hausaufgaben, bevor die ersten Kunden kamen.
Davon abgesehen war sie ein normales Mädchen.
Der Clubmanager Matti hielt sich für einen Tom-Jones-Doppelgänger - bis hin zu Rüschenhemden und sentimentalen Songs. Als stolzer Finne hielt er die Vorurteile seiner Landsleute aufrecht: Russen waren inkompetente Säufer, während Finnen kompetente Säufer waren.
Diese Behauptung führte unweigerlich zu Saufgelagen mit seinen Freunden von der Miliz, wenn sie kamen, um ihr Schutzgeld zu kassieren. Wenn er verlor, spendierte Matti einen Gratisfick mit jedem beliebigen Mädchen außer Maja. Mit ehrfurchtsvoll gesenkter Stimme sagte er dann: »Empfindliche Ware.«
Als Maja versuchte, sich in der Badewanne die Pulsadern aufzuschneiden, fragte Matti: »Was ist los mit dir? Warum verletzt du dich? Weißt du nicht, wie gut du es hier hast? Wie eine Prinzessin. Weißt du nicht, dass die Leute dich lieben? Sag's den anderen Mädels nicht, aber du machst hier mehr Geld als irgendjemand sonst. Wie die Mona Lisa. Dieses berühmte Museum in Paris hat tausend Kunstwerke, aber alle wollen immer nur dieses eine Bild sehen. Man kommt gar nicht in den Raum, weil es da so voll ist. Mit dir ist es genauso. Und das Geld, das ich für dich verwahre, wird immer mehr.« »Wie viel?«
»Das kann ich so nicht sagen. Ich hab's in letzter Zeit nicht gezählt. Aber es ist eine Menge.«
»Warum nimmst du das Geld nicht und lässt mich gehen?«
»Das ist Sache deiner Eltern, denn du bist noch nicht volljährig. Sie wollen nur dein Bestes. Ich werde sie anrufen. «
»Kann ich mit ihnen sprechen?«
»Wenn sie das wollen. Sie bestimmen, wo es langgeht. Ich bin nur der Typ, der den ganzen Ärger abkriegt. Vorläufig möchte ich, dass du das hier trägst.« Matti schlang ihr rote Bänder um die Handgelenke. »Und hör auf zu rauchen. Brave Mädchen rauchen nicht.«
Sie überquerte die Straße, um sich das Wartehäuschen anzusehen. Es war in einer Zeit des Optimismus gebaut worden, und obwohl die Farbe verblichen war und die Wand auf geheimnisvolle Weise Löcher bekommen hatte, konnte Maja immer noch ungefähr die Umrisse eines Raumschiffs erkennen, das sich vom Boden erhob und zu Höherem strebte.
Die Busstrecke war schon vor Jahren stillgelegt worden. Der Unterstand diente jetzt hauptsächlich als Pissoir und als Nachrichtenzentrale: Fick dich. Ich habe deine Mutter gefickt. Heil Hitler. Oleg ist ein Schwanzlutscher. Die Wände waren immer noch solide genug, um an kühlen Tagen die Wärme der Sonnenstrahlen zu speichern und an warmen Tagen kühl zu bleiben.
Maja setzte sich auf die Bank und stellte sich vor, auf einem warmen Schoß zu sitzen.
Niemand befürchtete, sie könnte abhauen. Die Straße war schnurgerade, und die wenigen Autos rauschten vorbei wie der Wind. Ab und zu hielt ein Militärlaster vor dem Club, aber Matti ließ die Soldaten nie hinein, weil sie zu laut und zu arm waren.
Etwas anderes gab es hier nicht.
Sie hätte auf dem Mars sein können.
Obwohl sie so zierlich war, sah man erst im vierten Monat, dass sie schwanger war.
»Du hast es gewusst«, sagte Matti. »Du hast es gewusst, als deine Periode ausblieb. Da hast du es gewusst, und jetzt sind wir im Arsch. Tja, wir müssen es einfach wegmachen lassen.«
»Wenn das Baby geht, gehe ich auch.«
Sie machte Anstalten, sich die Pulsadern aufzuschneiden.
»Okay, okay«, sagte Matti. »Aber wenn das Baby da ist, musst du es weggeben. Such dir jemanden Geeignetes. Niemand kommt in ein Bordell, um Babygeschrei zu hören.«
»Sehr niedlich, sehr niedlich, sehr niedlich«, sagte Matti, als das Baby da war. »Hast du jemanden gefunden?«
»Nein«, sagte Maja.
»Hast du her umgefragt?«
»Nein. Sie heißt Katja.«
»Das will ich nicht wissen. Sie kann nicht hierbleiben.« »Sie wird leise sein.«
Das Baby schlief in Windeln gewickelt in einem Korb neben Majas Bett. Ein zweiter Korb war voll mit Wolldecken, Windeln, Talkumpuderdosen und Tiegeln mit Vaseline.
»Du hast wohl ein System, ja? Fickst mit der einen und stillst mit der anderen Hand? Du weißt, was man mir aufgetragen hat.« Matti klappte sein Taschenmesser auf. »Es dauert nur
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