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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Wimperntusche. Es war schwer vorstellbar, dass sich sechs Frauen hier hineinzwängten, vom Umziehen ganz zu schweigen.
    »Ich bin nicht betrunken, falls du das vermutest«, sagte Viktor.
    Arkadi wusste immer noch nicht, was er sagen sollte. Er sah Schnappschüsse von Freunden und Angehörigen an den Spiegeln, aber keiner schien etwas mit Vera Serowa zu tun zu haben.
    »Wer hat sie identifiziert?«, fragte Viktor. »Eine Journalistin, die über die Clubszene schreibt, und dann noch mehrere andere Leute. Anscheinend war Vera Serowa nicht nur Studentin, sondern auch Tänzerin im >Nijinski<.«
    »Das ist die Erklärung.«
    »Was?«
    »Eine echte Vera hätte ein sehr viel schärferes Tattoo als einen Schmetterling. Schade. Jedenfalls denke ich, Vera ist ein bisschen schüchterner. Wenn ihr Freund sie mitgebracht hat, besteht die Chance, dass wir ihn identifizieren.«
    »Aber warum lässt du dich tätowieren?«
    »Man kann nicht in so einem Laden rumhängen, ohne sich ein Tatoo machen zu lassen. Übrigens, Surin hat angerufen; er sucht dich wegen eines Kündigungsschreibens, das er erwartet. Er sagt, aus Sicht der Staatsanwaltschaft bist du suspendiert. Du bist kein aktiver Ermittler mehr. Wenn du diesen Anspruch weiter erhebst, wird er dich festnehmen lassen.«
    »Verhaften?«
    »Enthaupten, wenn es nach ihm ginge.«
    »Wann kannst du hier sein? Du bist doch derjenige, der immer sagt, der Leutnant führt, der Ermittler folgt.« Während er redete, riss Arkadi schnell hintereinander Schubladen auf und schob sie wieder zu. Er sah Ecstasy in Form von Bonbons, durchsichtigen Kapseln und grünen Erbsen, ja, aber Clonidin oder Äther, nein. So viele Spiegel reflektierten sich gegenseitig, dass es aussah, als teile er den Raum mit einer Vielzahl verzweifelter Männer mit strähnigem Haar und Augen so tief wie Abflussrohre; Männer, wie sie in einer Regennacht durch die Straßen irren und normale Leute veranlassen mochten, ihr Seitenfenster hochzudrehen und eine rote Ampel zu überfahren. Ganz entschieden nicht der Stoff für Millionäre, nicht einmal in Arkadis Augen.
    »Einen Künstler kann man nicht hetzen«, sagte Viktor eben. »Wir sehen uns morgen früh.«
    Sie vereinbarten einen Treffpunkt, und Arkadi fragte: »Tut Tätowieren weh?«
    »Es piekst ein bisschen.« »Gut.«
     
    Isa Wolkowa war eine Schönheit in Grau. Arkadi kannte sie noch vom Bolschoi her, kurzfristig als Primaballerina, bevor sie sich verletzt hatte. Er hätte angenommen, sie würde vielleicht als Ballettlehrerin weitermachen und jungen Tänzerinnen beibringen, wie man das Bein so und den Ellenbogen so zu heben hatte. Stattdessen arbeitete sie als Choreographin im »Nijinski«, und ihr Schreibtisch stand eingeklemmt zwischen einem Kostümständer und Stapeln von CDs und DVDs, die ein dreidimensionales Balsamodell des Clubinterieurs umringten.
    Wolkowa studierte das Foto. »Vera Serowa war keine große Tänzerin, aber sie war hübsch genug. Haben Sie das Bild den anderen Tänzerinnen gezeigt?«
    »Ja.«
    »Ohne vorher zu mir zu kommen? Tänzerinnen sind Kinder. Ich will nicht, dass sie schluchzen, bevor das Publikum draußen ist. Bleiben Sie weg von den Mädchen. Wenn Sie Fragen haben, rufen Sie mich morgen an, und ich werde mir ein bisschen Zeit für Sie nehmen.«
    Morgen war es schon seit ein paar Stunden, dachte Arkadi. Und Zeit hatte er nur noch, bis Surin ihn fand.
    Wolkowas Telefon klingelte. Sie setzte sich und nahm den Hörer ab.
    »Nein, ich bin nicht allein. Ein Ermittler ist hier, aber er geht gerade ... völlig unfähig, und macht den Mädchen Angst ... Moment mal. Er ist zu begriffsstutzig, einen Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen.« Sie wedelte mit der Hand, um Arkadi zu verabschieden. »Sehen Sie nicht, dass ich arbeite?«
    »Das tue ich auch. Kann ich bitte Veras Foto zurückhaben?«
    »Oh.« Wolkowa sah, dass sie es in der Hand hielt, und reichte es ihm. »Gehen Sie jetzt? Ich kann nicht fassen, dass Sie das meinen Tänzerinnen gezeigt haben.«
    »Aber dieses hier habe ich ihnen nicht gezeigt.«
    Er wühlte in seiner Jackentasche, gab Wolkowa ein anderes Foto und beobachtete, wie ihr Blick über die dreckige Matratze wanderte, über Veras halb nackte Leiche mit dem Schmetterlingstattoo auf der Hüfte, die Gliedmaßen in Position vier arrangiert.
    Wolkowa legte den Hörer auf. »Das verstehe ich nicht.«
    »Ich auch nicht«, sagte Arkadi.
    »Du lieber Gott, wie konnte das passieren?« Sie ließ das Bild fallen, als wäre es eine Spinne.

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