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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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weniger als zwei Minuten übrig waren. Er stand kurz davor, gegen Henry zu verlieren, der jetzt wieder zwinkerte und blinzelte und im tadellosen Russisch eines Muttersprachlers sagte: »Versuche nie, einen Gauner zu begaunern.«
    »Ich dachte, du suchst das Baby«, sagte Maja. »Du spielst immer noch Schach.«
    »Das wusstest du doch.« Schenja konzentrierte sich auf das Brett.
    »Ich bin vor einer halben Stunde weggegangen. Hast du nirgendwo gesucht?«
    »Lass mich eben zu Ende spielen.« »Können wir jetzt gehen?«, fragte Maja. »Ich brauche noch fünf Minuten.« »Das hast du vorhin schon gesagt.«
    »Fünf Minuten, mehr nicht.« Das Spiel war noch zu retten. Er sah einen Ausweg und dahinter eine Kombination, bei der alle Ampeln auf Grün standen.
    Maja fegte die Figuren vom Brett. Die Plastikteile hüpften und rollten unter die Tische und am Büfett entlang. Die Leute ringsum starrten Maja an.
    »Können wir jetzt gehen?«
    »Sobald ihr bezahlt habt«, sagte Henry.
    Grimmig sammelte Schenja die Figuren vom Boden auf. Das Geld zu verlieren, machte ihm nicht so viel aus wie die Demütigung an einem Ort, der im Grunde sein Arbeitsplatz war. Man hatte ihn hier respektiert, und jetzt amüsierte man sich über ihn. Außerdem war er verwirrt. Er war es, der allen Grund hatte, sich aufzuregen, aber stattdessen versprühte Maja Wut und Verachtung.
    Auf dem Weg zum Kasino dachte Schenja ein paarmal daran, sie mit einem »Viel Glück, schlag dich allein durch« wegzuschicken. Aber diese Worte sprach er nicht aus, nicht einmal, als sie den Code für das Zahlenfeld an der Tür haben wollte.
    »Damit wir uns nicht gegenseitig in die Quere kommen«, erklärte sie.
    »Wie meinst du das?«
    »Ich meine, du brauchst mir nicht mehr zu helfen.« »Es macht mir aber nichts aus.« Das war gelogen und wahr zugleich.
    »Nein. Spiel du deine Spielchen, und ich werde tun, wozu ich hergekommen bin.«
    Schenja dachte daran, dass alles wunderbar gelaufen war, bis er Maja in sein Leben gelassen hatte. Er war ein Gewinner gewesen. Er suchte sich seine Gimpel zielstrebig und konzentriert, er war ein geachtetes Mitglied der Gemeinde an den Drei Bahnhöfen und hatte ein luxuriöses Spielkasino für sich allein. Er war das anerkannte Genie. Und jetzt stand alles auf dem Kopf. Er war ein Verlierer, der nun auch noch den einzigen Ort verlieren würde, den er als sein Eigentum betrachtete. Am Hintereingang des Kasinos gab er ihr, was sie haben wollte. Sie tippte den Code ein, um sicher zu sein.
    »Du vertraust mir nicht?«, fragte Schenja.
    »Vielleicht belügst du mich, vielleicht auch nicht.«
    »Vielen Dank. Weshalb bist du so wütend?«
    »Mein Baby ist verschwunden, und du spielst Schach.«
    »Um Geld für uns zu besorgen.«
    »Für uns? Du meinst, für dich, damit du wieder spielen kannst. Allein bin ich besser dran. Für dich gibt es nur Geld. Du bist ein Gauner.«
    »Und du bist ein Luder.«
    Jetzt zuckte sie zusammen. Anscheinend war das Wort eine gute Waffe - eine, die er immer wieder benutzen könnte.
     

DREIZEHN
    Maja war die jüngste Prostituierte im Club. Sie war ein Special, das nicht auf der Speisekarte stand: nur für vertrauenswürdige Mitglieder.
    Ihr Zimmer war pinkfarben, und im Regal saßen Reihen von Puppen mit aufgenähtem Lächeln und Knopfaugen, ganz wie in einem Mädchenzimmer, wenn der Papa kam und sagte: »Noch ein letztes Küsschen.« Sie hasste Puppen.
    Ein Gutes hatte das Zimmer: Der Blick ging auf eine zweispurige Straße mit einer überdachten Bushaltestelle und einer Straßenlaterne hinaus. Die Haltestelle wirkte seltsam beruhigend, und die Laterne verbreitete nachts ein warmes Licht, das leuchtete wie die Glut in einem Feuer.
    Der Club teilte sich einen großen Parkplatz mit einer Autowerkstatt und einem Motel, und er lag abseits der zweispurigen Straße, einer Bremsspur mitten im Nirgendwo.
    Trotzdem gab es nie einen Mangel an Kunden. Manche waren rau und struppig wie wilde Eber. Die Alten kamen hier an wie Pilger in Lourdes, auf Beinen, die von Krampfadern umflochten waren, mit geschwollenem Bauch, hohem Blutdruck und schlaffem Schwanz, und hofften auf Heilung durch sie, die Kindernutte. Oft brachen die, die den Papa spielten, am Ende in Tränen aus. Sie gaben das beste Trinkgeld, aber letzten Endes würgten sie ihr alle die Luft ab.
    In der Schule schlief sie halb, was die Lehrerin mit Blutarmut erklärte, wahrscheinlich verursacht durch ihre erste Periode. Sie schloss keine Freundschaften, hatte niemanden,

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