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Die goldene Meile

Die goldene Meile

Titel: Die goldene Meile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Beschuss ruhig und zuversichtlich zu bewegen, statt von einer Deckung zur anderen zu springen, ist so viel wert wie zehn brillante Taktiker.«
    Arkadi hatte den Ehrgeiz zu sterben, bevor er wurde wie sein Vater.
     

FÜNFZEHN
    Aus dem nächtlichen Unwetter war ein grauer Nieselregen geworden, aber trotzdem bestand Jegor darauf, sich an einem Kiosk unter freiem Himmel anzustellen, um Hotdogs und Bier zu kaufen.
    »Ich wusste, dass du kommen würdest«, sagte er zu Maja. »Nur, bis wir mein Baby gefunden haben.« Der Verkäufer im Kiosk war braun, hatte dunkle Augenlider und trug die drahtumrandete Brille eines Gelehrten. Er begrüßte Jegor zurückhaltend. »Hast du heute gute Laune, mein Freund?« »Absolut.«
    »Das ist gut. Du bist immer willkommen, wenn du gute Laune hast.«
    »Wir warten seit einer beschissenen Stunde darauf, dass wir hier bedient werden. War nur ein Scherz.«
    »Du bist gut gelaunt, das sehe ich schon. Du bist unser Gast. Was immer du willst.«
    »Sicher?«
    »Hundertprozentig.«
    »Ali ist ein guter Kerl«, sagte Jegor zu Maja. »Inder oder Pakistani ?«
    »Pakistani, bitte«, sagte Ali.
    »Und irgendwie hier in Moskau hängen geblieben.« »Vom Schicksal hier ausgesetzt. Ich kam vor dreißig Jahren zum Studium her und bin immer noch da.« »Ein paar Jungs haben Ali Ärger gemacht.«
    »Straßenjungs. Jegor hat einmal mit den Fingern geschnippt, und sie waren verschwunden. Jetzt gibt es keine Probleme mehr, zumindest nicht mit gewalttätigen Jugendlichen - dank Jegor. Geh zu irgendeinem anderen Kiosk, und du hörst die gleiche Geschichte. Jegor zum Freund zu haben ist wichtig.«
    Jegor schlug Majas Kapuze zurück und entblößte ihre blaue Kopfhaut. »Wie findest du das?« »Exotisch. Wie alt ist sie?«
    »Alt genug.« Jegor nahm das Essen in Empfang und schob Maja vor sich her, aber er war sehr zufrieden. »Hast du das gehört? Du hast einen wichtigen Freund.«
    »Ich will keinen Freund, ich will Katja.«
    »Einverstanden, aber du kannst nicht mit potenziellen Kunden über ein verdammtes Baby reden. Ein Geschäft hat zwei Seiten. Du musst deinen Teil der Vereinbarung einhalten.«
    »Das werde ich.«
    »Und halte dich von dem Genie fern. Er glaubt, du bist die Jungfrau Maria. Bei mir brauchst du nicht so zu tun. Sei froh, dass ich dich nehme, wie du bist.«
    Also nur wie eine Prostituierte, dachte Maja. Wenn er sie ansah, war es, als kröchen seine Hände über ihren Körper, quetschten die Milch aus ihren Brüsten und glitten zwischen ihre Beine, obwohl er in Wahrheit noch nie Hand an sie gelegt hatte. Das Gefühl war lähmend und erniedrigend, und sie war sicher, dass er genau wusste, was er tat.
    Dank stundenlanger intimer Beobachtungen konnte sie in den Männern lesen. Manche wollten den Sex, von dem sie ein Leben lang phantasiert hatten und der ein besonderes Kapitel in einem Buch wert wäre. Andere wollten ein unschuldiges Mädchen retten, aber nach dem Sex, nicht vorher. Und alle wollten etwas haben für ihr Geld.
    Maja spuckte ihren Hotdog in die Gosse.
    »Was ist los?«, fragte Jegor. »Nichts.«
    »Am besten fangen wir gleich an, oder?«
    Der Regen verlangsamte den Autoverkehr, brachte ihn aber nicht zum Stehen, und Maja fragte sich, was die Leute in den Autos wohl sehen mochten, wenn sie aus ihrem behaglichen Leben hinausschauten. Einen roten Strom von Bremslichtern. Ein paar klägliche Tische mit CDs und DVDs unter Plastikplanen. Die ewigen Zuhälter. Einen dicken Jungen und ein glatzköpfiges Mädchen, zwei Fische in ihrem Element.
     

SECHZEHN
    Arkadi zog die nassen Sachen aus und nahm eine heiße Dusche. Dann zog er die Vorhänge zu. Sie waren aus schwerem Samt und so dick, dass sie buchstäblich keinen Lichtschimmer hereinließen. Normalerweise war Schlaf schwer zu finden. Diesmal schlief er ein, sowie sein Kopf das Kissen berührte.
     
     

SIEBZEHN
    Mit drei Wochen war Katja immer noch ein Teil ihrer Mutter. Alles, was sie schmeckte und roch, alle Wärme und jede Berührung war ihre Mutter. Wenn sie erschrocken war, beruhigte die Stimme ihrer Mutter sie, und wenn sie nicht weiter schauen konnte als bis zum Gesicht ihrer Mutter, so war das genug. Wie die Erde und der Mond kreisten sie beständig umeinander, und als sie aufwachte und eine andere Stimme hörte, begann das Universum einzustürzen.
    Bis zu diesem Augenblick war sie ein gesundes Baby.
     
    Die Babuschka Tante Lena verschwand in der Damentoilette im Kasaner Bahnhof und kam heraus als Helena, immer noch eine

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