Die goldene Meile
Querschläger geben.
»Gehen Sie außer Landes, bis Sie gefahrlos zurückkommen können«, sagte Arkadi. »Sie stehen an der Spitze einer weltweit operierenden Organisation. Sicher haben Sie genug Geld im Ausland gebunkert, um jeden Morgen ein frisches Croissant zu bekommen.«
»Die haben meinen Pass beschlagnahmt«, sagte Waksberg. »Ich sitze in der Falle.«
»Nie ein gutes Zeichen«, musste Arkadi einräumen.
Slawa fuhr um eine Straßensperre aus orangegelben Tonnen herum und ließ den Mercedes eine unvollendete Straßenüberführung hinaufrollen, eine elegant geschwungene, vierspurige Betonfahrbahn, die mitten in der Luft endete. Man sah keine Betonmischmaschinen, keine Generatoren oder sonstige Anzeichen dafür, dass hier in der letzten Zeit gearbeitet worden war.
Der Wagen hielt an, und Slawa entriegelte die Türen.
»Wollen Sie, dass wir aussteigen?«, fragte Arkadi.
»Von hier drinnen aus kann man nichts sehen«, sagte Waksberg. »Sie haben doch keine Angst vor dem bisschen Regen, oder?«
»Ich bleibe hier«, sagte Anja.
Arkadi stieg aus. Er hatte ringsum freie Sicht, aber die Wolken hingen tief, und Blitze erschienen und verschwanden wie weiße Drachen, die die Stadt belauerten.
Arkadi dachte plötzlich, dass eine Straßenbrücke, die von Moniereisen starrte, vielleicht nicht der sicherste Ort war, wenn ein großes elektrisches Ungleichgewicht ausgeglichen wurde. Aber die Alternativen waren nicht viel besser. Er überlegte, was er unerledigt hinterlassen hatte, falls er hier frittiert werden sollte. Zum einen hatte er den Schlüssel von Viktors Lada. Die Karre würde auseinanderfallen wie ein Planwagen in der Wüste.
»Was gibt es zu grinsen?«, fragte Dima.
»Du stehst im Gewitter und hast eine Pistole in der Hand. Du bist ein menschlicher Blitzableiter.«
»Verdammt, der alte Knabe sollte sich bald entscheiden, sonst fahren wir alle zur Hölle.«
Arkadi fragte sich, ob der Tod wohl einen lebenslangen Schlafmangel ausgleichen würde. Was die Hölle anging, hatte er den Verdacht, dass sie mehr Ähnlichkeit mit den Drei Bahnhöfen als mit einem Feuerpfuhl haben würde.
Wo die Wolken aufrissen, schimmerten Wolkenkratzerbaustellen auf. Pausenlos schlugen Blitze in die stählernen Skelette ein, und jeder Einschlag brannte sich in die Netzhaut.
Waksberg kam heran.
»Ich brauche meinen Pass, damit ich ungehindert reisen und meinen Geschäften nachgehen kann. Ich bestehe außerdem darauf, dass ich jederzeit zurückkommen und meine Interessen wahren kann. Dazu brauche ich intelligente und vertrauenswürdige Leute um mich herum.«
»Die haben Sie doch sicher dutzendweise.«
»Aber sie sind nicht hier, und die, die hier sind, hat man eingeschüchtert. Warum, glauben Sie, treffen wir uns hier, wo wir fast ertrinken? Mein Büro ist verwanzt. Mein Auto und meine Telefone sind nicht abhörsicher. Ich brauche jemanden, der das Gesetz kennt, aber sich davon nicht fesseln lässt. In gewisser Weise hat Surin Ihnen die beste Empfehlung ausgesprochen, die man sich denken kann. Ein Ermittler, der einen Staatsanwalt umgebracht hat. Mann, Mann.« »Aber immer noch ein Ermittler.«
»Nicht mehr lange, wenn man Surin hört. Ah, Anja, Sie haben uns vermisst?«
Anja war ausgestiegen. Sie legte einen Finger an die Lippen.
»Ich muss mich für das Wetter entschuldigen.« Waksberg spielte immer noch den Gastgeber. Anja deutete auf den Kofferraum.
»Das da?« Dima zeigte auf ein Seil, das aus dem Kofferraum des Mercedes hing. Als er sich danach bückte, sprang der Kofferraum auf, und ein kleiner blinder Passagier kam im Schatten des Deckels hoch.
Der Donner übertönte den Knall der Schüsse. Dima wollte das Feuer erwidern, aber seine nie versagende Pistole hatte Ladehemmung. Er taumelte rückwärts, drückte vergebens ab und wurde noch viermal getroffen, bevor er zu Boden ging.
Slawa hatte auch eine Glock. Sie hatte keine Ladehemmung, aber als er das Magazin auf den Mercedes verballerte, rollte sich der Unbekannte im Kofferraum zur Seite, wo ihn die Panzerung des Wagens schützte. Anscheinend kam Slawa auf den Gedanken, sich zurückzuziehen, aber im selben Moment brach er zusammen.
Inzwischen hatte Arkadi Dimas Pistole aufgehoben. Arkadi war kein Scharfschütze; sein Vater, der General, hatte eine tiefe Abneigung gegen Waffen in ihm hinterlassen, aber er war damit aufgewachsen, sie zu zerlegen, zu reinigen und ganz allgemein zu pflegen.
Eine Neun-Millimeter-Patrone klemmte senkrecht wie ein Kamin im Verschluss
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