Die Goldhaendlerin
Orlando klopfte dem Kapitän gönnerhaft auf die Schulter und trat an die Reling, um bei der Einfahrt Ausschau nach ihm bekannten Schiffen zu halten. Es mochten befreundete Kapitäne darunter sein, Männer, von denen er Neuigkeiten erfahren konnte, aber auch andere, die Lea als verdächtige Person an die Spanier verraten würden, wenn sie »Léon de Saint Jacques« in seiner Gesellschaft erblickten. Die Rheinbarke kämpfte sich durch hohe Wellen, deren Kämme über das Deck liefen und Orlandos Stiefel durchnässten, bevor sie durch die Speigatten wieder abflossen. Orlando sah kurz an sich herab und seufzte, als ihm klar wurde, dass er sein Schuhwerk kräftig würde bürsten müssen, um die weißen Salzränder wieder loszuwerden. Dennoch blieb er stehen, den Blick auf die Stadt gerichtet, die sich immer deutlicher aus dem trüben Himmel schälte.
Die steife Brise aus Nordwest half der »Marijkje« zusammen mit der auflaufenden Flut, gegen die Strömung der Schelde anzukämpfen, so dass Orlando bald schon den hoch aufragenden Turm der Pauluskerk und die stark bewehrte Burg des herzoglichen Pflegers erkennen konnte, die sich schützend neben den Hafenanlagen ausbreitete.
Die »Marijkje« war das kleinste Schiff, das sich von See her Antwerpen näherte. Gegen die wuchtigen Koggen und Karacken, die diese Strecke befuhren, wirkte sie beinahe wie ein Beiboot. Als sich ein englischer Segler ihr von achtern näherte, um sie zu überholen, flogen Spott und Beleidigungen herüber. Marinus van Duvl spuckte nur ins Wasser und legte das Ruder einen Strich herum, damit das braunrote Großsegel seiner Barke mehr Wind fasste. Innerhalb kürzester Zeit wurde die »Marijkje« schneller, und der anmaßende Engländer blieb hinter ihnen zurück.
Wie versprochen, machte die »Marijkje« noch vor Einbruch der Nacht am Kai fest. Orlando bezahlte dem Schiffer die vereinbarte Summe plus der fünf Gulden und einem Trinkgeld für die Mannschaft und bedankte sich für die schnelle Fahrt. Dann stieg er unter das Vorderdeck, um Lea zu holen. Im Schein der Laterne, die ein Matrose mittschiffs aufgehängt hatte, wirkte ihr Gesicht immer noch grünlich, doch sie stand auf ihren Füßen und hielt ihren Reisesack in der Hand.
»Komm, ich trage deine Sachen«, bot Orlando ihr an, erntete aber nur ein abwehrendes Kopfschütteln.
»Dann eben nicht.« Er nahm sein eigenes Gepäck und bedeutete Lea mit einer Geste, vorauszugehen, damit er ihr helfen konnte, wenn sie auf der Leiter strauchelte. Es war jedoch nicht nötig, denn ein Matrose streckte ihr die Hand entgegen und half ihr an Deck. Als Orlando oben ankam, hatte sie das Schiff bereits verlassen und stand mit erleichtertem Gesicht auf festem Boden. Marinus van Duvl verhandelte bereits mit einem Gehilfen des Hafenmeisters, der sich die Ausführungen des Holländers gut gelaunt anhörte. Orlando unterbrach das Gespräch und meldete sich und Léon de Saint Jacques als Passagiere an. Da der Beamte ihn kannte, wünschte er ihm nur einen guten Aufenthalt und erfolgreiche Geschäfte.
Als sie den Hafen verließen, sah Lea ihren Begleiter neugierig an.
»Treffen wir heute noch auf die Gesandtschaft?«
»Nein, wir suchen Freunde auf, die uns Obdach gewähren werden«, antwortete Orlando, während er auf einen der beiden Wächter des Hafentors zuging, ihm die Torsteuer mit einem Trinkgeld in die Hand drückte und lachend auf eine für Lea unverständliche Bemerkung im gleichen Dialekt antwortete.
4.
Als Lea am nächsten Morgen erwachte, starrte sie verwirrt auf die Wände des Holzkastens, in dem sie lag. Zu ihrer Linken ließ ein handtellergroßes Fenster Luft und fernen Straßenlärm hinein, und auf der anderen Seite gab es zwei Türflügel, die mit einem primitiven, auch von außen zu öffnenden Riegel zusammengehalten wurden. Jetzt dämmerte es ihr, dass sie sich in einem landesüblichen Alkovenbett befand, löste die Türen, die wie von selbst aufschwangen, und streckte die Füße ins Freie. Dann aber bemerkte sie, dass sie sich ja bis auf das dünne Hemd ausgezogen hatte und zog die Bettdecke bis zum Kinn hoch. Wenn jemand sie so sah, würde er sofort erkennen, dass der angebliche Bankier in Roland Fischkopfs Begleitung in Wirklichkeit eine Frau war.
Sie richtete sich so auf, dass die Decke weiterhin ihre Gestalt verhüllte, und sah sich um. Zu ihrer Erleichterung befand sie sich allein im Raum. Doch eine Schüssel mit Wasser, Handtücher und Rasierzeug wiesen darauf hin, dass ein dienstbarer
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