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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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Geist im Raum gewesen war, um dem Gast die Morgentoilette zu ermöglichen.
    Lea warf die Decke ab, huschte zur Tür und klemmte einen der beiden Stühle unter die Klinke, um vor unverhofft auftauchenden Besuchern sicher zu sein. Danach zog sie sich aus, wusch sich und kleidete sich mit aller Sorgfalt an. Um keinen Verdacht zu erregen, nahm sie das Rasierzeug, schäumte den Pinsel kräftig ein und spülte ihn dann nachlässig aus, damit es so aussah, als hätte sie ihn gebraucht. Nach einem kurzen Blick in den Kupferspiegel, der über dem Waschtisch hing, klebte sie ein paar Seifenflocken an das Rasiermesser und ihr rechtes Ohrläppchen und verließ dann mit einem zittrigen Seufzer das Zimmer.
    Ein Diener zeigte ihr den Weg zum Frühstückszimmer, in dem sie ihren Begleiter und den Hausherrn im Gespräch vertieft vorfand. Am Tag zuvor war sie zu erschöpft gewesen, um ihren Gastgeber richtig wahrzunehmen. Jetzt sah sie einen mittelgroßen, hageren Mann an der Schwelle zum Greisenalter vor sich, der mit einem einfachen braunen Hausmantel bekleidet war, Filzpantoffeln trug und eine Wollkappe auf seinen grauen Schopf gestülpt hatte. Der Mann umklammerte Roland Fischkopfs Hände und schüttelte sie mit offensichtlicher Begeisterung. Ohne sich umzudrehen rief er nach jemanden mit dem Namen Marita. »Komm her, Töchterchen, und begrüße unseren Retter.«
    Ein schlankes Mädchen von etwa siebzehn Jahren in einem schlichten Kleid schlüpfte an Lea vorbei ins Zimmer, eilte auf Roland Fischkopf zu und küsste die Hand, die ihr Vater eben losließ. »Don Orlando! Welche Freude, Euch zu sehen.«
    Lea starrte ihren Begleiter verwundert an und trat neugierig näher. Wieso trug Roland hier einen spanischen Vornamen?
    Orlando begrüßte das Mädchen mit jenem Lächeln, mit dem man Kinder bedenkt.
    Marita hingegen verschlang ihn geradezu mit verliebten Blicken.
    »Don Orlando, ich habe jeden Tag gebetet, dass Ihr bald wieder zu uns kommen werdet.«
    Lea fragte sich, warum das Mädchen sich bei Rolands – nein, bei Orlandos – Anblick so töricht benahm. Führten sich christliche Jungfrauen beim Anblick eines jungen, unverheirateten Mannes immer so auf, oder war tatsächlich etwas Besonderes an dem angeblichen Hamburger Handelsagenten, der hier mit einem spanischen Adelstitel angeredet wurde? Unwillkürlich musterte Lea Orlando mit den Augen einer Frau und fand, dass er ein ausgesprochen gut aussehender Mann war, mit einer Spur Draufgängertum und Verwegenheit in den Zügen, die wohl besonders anziehend auf heiratsfähige Mädchen wirkten. Der Gedanke versetzte Lea einen Stich, obwohl sie jeden Verdacht, sie könne sich für diesen Mann oder irgendeinen anderen interessieren, weit von sich gewiesen hätte. Sie war froh, für die Außenwelt als Mann zu gelten, und hatte nicht vor, etwas daran zu ändern.
    Mit einem spöttischen Lächeln hörte sie zu, wie Marita Don Orlandos Mut, seine Klugheit, seine Entschlossenheit und einige andere Eigenschaften, die Lea bis jetzt noch nicht an ihm entdeckt hatte, in höchsten Tönen pries, während ihr Vater jedes ihrer Worte enthusiastisch bestätigte. Zunächst amüsierte sie sich darüber, aber dann begriff sie, dass Orlando diese beiden Menschen tatsächlich vor den Folterkellern der Inquisition bewahrt hatte, und schämte sich für ihre abwertenden Gedanken. Auch wenn Orlando es für Geld tat, so hatte er, wie sie jetzt erfuhr, schon vielen Menschen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft das Leben gerettet.
    In dem Moment bemerkte Orlando, dass Lea an der Tür stand, und löste sich sanft von Marita, deren Anbetung ihm offensichtlich peinlich war. Sein Blick blieb einen Moment mit einem um Verzeihung bittenden Ausdruck auf Lea haften, so als wollte er sich für das Benehmen der Tochter seines Gastgebers entschuldigen.
    »Du bist ja schon aufgestanden, Léon. Nachdem es dir gestern so schlecht ging, hatte ich nicht erwartet, dich so früh zu sehen.«
    Er trat neben Lea, fasste sie bei den Schultern und schob sie auf den Gastgeber zu. »Señor Lorresta, Ihr habt meinen Begleiter Léon de Saint Jacques bereits gestern Abend gesehen, doch er ist erst jetzt in der Lage, Euch für Eure Gastfreundschaft zu danken.«
    »Eure Freunde sind mir stets willkommen, Don Orlando, und wenn sie sich bei uns wohl fühlen, ist das der größte Dank«, wehrte Lorresta ab.
    »Don Orlando?« Lea hob interessiert die Augenbrauen. »Wie es scheint, seid Ihr ein Mann mit vielen Namen, Herr

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