Die Goldhaendlerin
nächsten Abendessen nach der Ankunft des herzoglichen Boten. Hatte man ihnen bislang nur karge Kost zukommen lassen, so bogen sich nun die Tische unter den köstlichsten Leckerbissen. Frans van Grovius wurde zu dem mit geschnitzten Heiligenfiguren geschmückten Stuhl des Abtes geleitet, und für jeden Edelmann, Gelehrten und Sekretär stand ein eigener Diener bereit, der in einer mit den Wappen Kastiliens geschmückten Livree steckte. Im Gegensatz zu de Poleur und den anderen war Lea mit den Mahlzeiten, die aus ein wenig Gemüse, einem Stück Brot und Fisch oder gelegentlich auch einmal Hammelfleisch bestanden hatten, sehr zufrieden gewesen. Doch wie es aussah, würde es ihr nun nicht mehr möglich sein, die Speisevorschriften ihres Glaubens halbwegs einzuhalten. Als Erstes wurden mit Honig und süßen Mandeln kandierte Spanferkel aufgetragen und jedem Mitglied der Gesandtschaft ein großes Stück vorgelegt, während mehrere Dominikanermönche die Gäste scharfäugig beobachteten. Lea war klar, dass das ein Versuch der Spanier war, einen heimlichen Juden unter den Gesandten zu entlarven, und sie folgte dem Beispiel Thibaut de Poleurs, der bereits beim ersten Bissen Laute des Entzückens ausstieß.
»Köstlich! Wirklich köstlich!«, jubelte sie, während sie auf dem Fleisch herumkaute, das ihren Mund wie schmierige Asche füllte.
Da auch die anderen alle des Lobes voll waren, schwand das Misstrauen der durch den Raum schleichenden Dominikanermönche, und Don Diego, den sie bisher nur hochfahrend und verletzend erlebt hatte, lobte in höchsten Tönen die in Wahrheit nicht existierende spanisch-burgundische Waffenbrüderschaft und verkündete laut, dass die Delegation in den nächsten Tagen Weiterreisen würde, um den Königen von Kastilien und Aragon die besten Wünsche ihres Herzogs für den bevorstehenden Krieg überbringen zu können. Nach der Art und Weise zu urteilen, mit der er das Wort Kastilien hervorhob und Aragon halb verschluckte, musste er ein eifriger Gefolgsmann Königin Isabellas sein, Lea nickte versonnen, denn nun bemerkte sie zum ersten Mal die Spannungen, von denen Orlando ihr berichtet hatte. Die beiden Spanischen Reiche waren erst zwei Jahrzehnte vorher durch die Heirat der kastilischen Königin Isabella mit Fernando von Aragon vereint worden, aber die Granden pflegten genauso wie die einfachen Bürger ihre Eigenständigkeit und hüteten eifersüchtig die überkommenen Privilegien. So kam es, dass die alte Rivalität der Kastilier und Aragonier zumindest im Geheimen weiterkochte.
»Endlich tut sich was«, sagte Thibaut de Poleur und blickte dabei mit so hungrigen Blicken auf Leas Teller, dass sie ihm mit säuerlicher Miene, aber leichten Herzens einen Teil ihres Spanferkels opferte.
Lea war so erleichtert über diese Wendung, dass sie den Rest ihres Fleisches leichter herunterbrachte. Die Angst, gescheitert zu sein, hatte wie Mehltau auf ihrer Seele gelegen. Aber nun sah es so aus, als hätte sie nicht vergebens all die Wochen gegen die Furcht vor Entdeckung und – noch schlimmer – vor dem eigenen Versagen angekämpft, während sie tiefer und tiefer in die Rolle des Léon de Saint Jacques geglitten war, so dass sie beinahe schon gelernt hatte, wie ein christlicher Edelmann zu denken.
Während sie noch überlegte, was sie auf einen nur halb verständlichen Scherz von de Poleur antworten sollte, öffnete sich der Eingang des Speisesaals, und ein Mönch im braunen Habit des Franziskanerordens trat ein. Er war nur mittelgroß, hatte aber einen stattlichen Bauchumfang und ein rundes, offenes Gesicht, das kindliche Naivität auszudrücken schien, doch seine dunklen, flinken und durchdringenden Augen verrieten einen wachen Geist. Der Verbeugung nach, die Diego Arandela sich abrang, musste er eine bedeutende Stellung einnehmen. Ihm folgte ein Mann, der ein einfaches dunkelgraues Wams, Hosen aus festem braunem Stoff und eine schlichte schwarze Kappe ohne jeden Schmuck auf dem Kopf trug. Seinem Auftreten nach war er kein einfacher Bürger, denn er schien so sehr von seiner Wichtigkeit überzeugt zu sein, dass er Don Diego nur mit einer knappen Verbeugung grüßte.
»Das ist Señor Cristoforo Colombo«, stellte der Mönch ihn vor. Don Diego verzog angewidert das Gesicht. »Der verrückte Genuese?«
»Genau der, mein Herr! Aber es wird sich bald erweisen, ob ich verrückt bin oder die Narren, die mich so bezeichnen«, antwortete Colombo mit einer Stimme, die Lea an die der Kapitäne van Duyl und
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