Die Goldhaendlerin
Seine gebeugten Schultern schienen das Gewicht seiner weißen Kutte kaum tragen zu können, und doch strahlte er eine innere Kraft und eine Güte aus, die Lea sofort Vertrauen fassen ließen. Für einen Augenblick erinnerte Lea sich an Juan Perez, den weitaus robuster wirkenden Abt von La Rabida, das fast am anderen Ende Spaniens lag, und fragte sich, wie Orlando das Vertrauen zweier so unterschiedlicher Kirchenmänner hatte gewinnen können. Pablos mahnendes Hüsteln löste sie wieder aus ihren Gedanken. Sie verbeugte sich, ergriff aber nicht die Hand des Abtes, um sie zu küssen, wie ein echter Mönch es getan hätte.
Albañez warf Leas Begleiter einen fragenden Blick zu. »Willst du mir unseren Besucher nicht vorstellen, Pablo?«
»Er kommt von Don Orlando. Mehr weiß ich nicht.«
Lea verneigte sich noch einmal auf die Art eines Edelmanns.
»Mein Name ist Léon de Saint Jacques, und ich bin ein Freund von Orlando Terasa. Er hat mich geschickt, um Rodrigo Baramosta und den Seinen zur Flucht aus Spanien zu verhelfen.«
Albañez blickte zweifelnd an ihr hoch. »Ihr seid noch sehr jung.«
»Ich glaube nicht, dass Orlando älter war, als er seine ersten Leute rettete.«
Der Abt starrte sie einen Augenblick durchbohrend an, aber als er erkannte, dass sein Gast keine Anspielung hatte machen wollen, lächelte er wehmütig. »Bei Gott, das war er wirklich nicht. Verzeiht, ich wollte Euch nicht kränken. Doch unsere Situation wird von Tag zu Tag kritischer, und ich sehe keinen Ausweg mehr. Die Soldaten des Herzogs von Montoya bewachen das Kloster und werden niemanden entkommen lassen. Selbst wenn es unseren Gästen gelänge, San Juan de Bereja ungesehen zu verlassen, würden die Posten, die weiter unten am Fluss Wache halten, sie bald entdecken und dafür sorgen, dass die Verfolger sie nach kurzer Zeit einholen. Man müsste Baramosta und den Seinen einen Vorsprung von mindestens einem halben Tag verschaffen und für ein Schiff sorgen, das bei Cullerà auf sie wartet.«
»Das Schiff steht bereit«, antwortete Lea. »Doch wegen der Soldaten zerbreche ich mir ebenfalls den Kopf.«
Der dickliche Mönch schlug mit der Faust in die offene Hand.
»Ihr Auftrag ist es, Don Orlando zu fangen! Sie haben oft genug in der Fonda von Bereja geprahlt, was sie mit ihm machen werden, wenn sie ihn in die Finger bekommen.«
»Sie sollen aber auch verhindern, dass Señor Baramosta entkommt«, setzte der Abt mit einem bitteren Lächeln hinzu.
»Wie geht es ihm? Ich wollte ihn schon lange kennen lernen.«
Erst, als sie die letzten Worte ausgesprochen hatte, begriff Lea, dass sie noch vorsichtiger sein musste, denn aus ihr hatte nicht der christliche Edelmann de Saint Jacques gesprochen, sondern der jüdische Kaufmann Samuel ben Jakob, der der persönlichen Bekanntschaft mit einem langjährigen Geschäftspartner interessiert entgegensah.
»Bitte, bringe unseren Gast unauffällig zu mir«, bat der Abt den Mönch. Während Pablo sich eifrig nickend entfernte, hob der Abt bedauernd die Hände. »Es tut mir Leid, Saint Jacques, dass ich Euch nicht wie einen hochgestellten Gast behandeln und meinen Mitbrüdern vorstellen kann. Meine Stellung im Kloster ist leider nicht mehr unangefochten wie früher, denn man hat mir Mitbrüder aufgenötigt, die mit dem Gedankengut der Inquisition konform gehen und für den Herzog von Montoya spionieren. Von ihnen wird Alvaro de Arandela, der Anführer unserer Bedränger in Bereja, über alles auf dem Laufenden gehalten, was hier drinnen vorgeht.«
Lea hob interessiert den Kopf. »Arandela? Ist der Mann mit Don Diego de Arandela verwandt?«
»Er ist sein jüngerer Bruder und genau wie jener einer von Montoyas Bluthunden.« Albañez schüttelte seufzend den Kopf, als verstände er die neue Zeit nicht mehr, und fragte Lea nach Orlando. In dem Moment erkannte Lea, wie wenig sie über ihren einstigen Quälgeist wusste, und schämte sich, weil sie den Abt mit ein paar belanglosen Floskeln abspeisen musste. Dabei sah sie Orlando so deutlich vor ihrem inneren Auge, als stünde er vor ihr. Er lächelte, als wollte er ihr Mut zusprechen, und mit einem Mal erschien ihr die Bedrohung durch Arandelas Soldaten weniger bedrohlich.
Kurz darauf klopfte es leise an der Tür. Bevor der Abt zum Eintreten auffordern konnte, wurde sie geöffnet, und Pablo schob einen groß gewachsenen Mann herein, dem eine Kutte wie ein Sack um die hagere Gestalt schlotterte. Baramostas Augen waren vor Angst weit aufgerissen, und seine
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