Die Goldhaendlerin
ließ ihn viel Wasser trinken. Dann blieb sie neben ihm stehen, bis er eingeschlafen war.
Gerade, als sie sich auf eine der Stufen sinken lassen wollte, wurde die Falltür hochgehoben, und rötliches Tageslicht fiel herein.
Oben stand Gretchen und streckte ihr einen Packen Kleider entgegen. Als Lea ihn ihr abgenommen hatte, griff sie nach dem Korb, im dem sie die Mahlzeiten und andere Sachen herbeizuschleppen pflegte, und stieg die Treppe hinab. Unten brachte sie als Erstes eine Schere zum Vorschein. »Natürlich müssen wir dir die Haare abschneiden. Es tut mir Leid um deine schönen Zöpfe, aber als Mann würdest du so nicht durchgehen.«
Lea warf unwillig den Kopf hoch. »Wer am Leben bleiben will, muss Opfer bringen.«
Das sollte gleichmütig klingen, aber ihre Stimme verriet, wie nahe sie den Tränen war. Sie wandte ihr Gesicht ab, schob eines der Gestelle in den Lichtkegel und setzte sich darauf.
»Mach schnell!«, bat sie die Freundin.
Gretchen schnaufte verlegen und setzte die Schere an. Während Lea die Zähne zusammenbiss, schrie Rachel bei jeder abgetrennten Strähne leise auf, wagte es aber nicht, ihrer Schwester Vorhaltungen zu machen.
Als Gretchen fertig war, trat sie einen Schritt zurück, um ihr Werk zu begutachten. »Als Mann siehst du gut aus, Lea. Hätte ich nicht meinen Peter, könnte ich mich glatt in dich verlieben.«
Lea betastete ihren kahlen Nacken und schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken, so das Haus verlassen zu müssen, zwang sich aber zu einem Lächeln. »Das hast du gut gemacht.«
Gretchens ängstlicher Blick wich deutlicher Erleichterung. Damals in Hartenburg hatte Lea ihr einiges über jüdische Sitten und Gebräuche erzählt, und so konnte sie sich vorstellen, gegen wie viele Regeln ihre Freundin verstieß, wenn sie barhäuptig und als Mann verkleidet herumlief.
»Ich habe Übung darin, denn ich muss Peter auch immer die Haare schneiden. Esst jetzt schnell euren Morgenbrei und zieht euch an. Ich schaue inzwischen nach, wie weit mein Mann mit dem Handkarren ist.« Sie schob Lea den Korb hin und hastete die Treppe hinauf.
Lea teilte den Getreidebrei auf und reichte ihrer Schwester die größte Portion. Rachel nahm die Schale mit spitzen Fingern entgegen, so als fürchtete sie, sich an Lea zu beschmutzen, und löffelte immer noch lustlos, als Lea längst fertig war und Elieser fütterte. Um ihren Widerwillen deutlich zu machen, weigerte Rachel sich, das für sie bestimmte Kleid überzustreifen. Lea juckte es in den Fingern, ihre Schwester zu ohrfeigen, aber sie scheute eine weitere Auseinandersetzung und zog sie daher an wie ein kleines Kind. Dann bat sie sie freundlich, ihr zu helfen, Elieser den schmutzigen Kittel aus- und das frische Hemd anzuziehen. Rachel starrte angewidert auf das sackähnliche Gewand, das Gretchen ihrem Mann abgebettelt hatte und das ihren Bruder von Kopf bis Fuß einhüllen würde.
»Sag mal, bist du ganz von Gott verlassen? Du kannst ihn doch nicht nackt ausziehen. Es gehört sich nicht für eine fromme Jüdin, die Blöße eines Mannes anzusehen oder sie gar zu berühren.«
Lea schnaubte. »Ich werde ihn sogar dort waschen! Du kannst ja die Augen dabei zumachen. Das schmutzige, durchgeschwitzte Zeug muss weg, sonst erkältet Elieser sich draußen, und das wäre sein Tod. Wenn ich ihn aber ohne deine Hilfe bewege, werde ich ihm Schmerzen zufügen und vielleicht sogar seine Wunden aufreißen.«
Rachel verschränkte die Arme und zog sich in ihre Ecke zurück.
»Ich fasse keinen nackten Männerkörper an. Frag doch Gretchen.«
Lea presste ihre Hände an den Leib, um den Wunsch zu unterdrücken, den Kopf der Schwester so lange gegen die Wand zu schlagen, bis das Mädchen Vernunft annahm, und beschränkte sich darauf, Rachel mit einigen Ausdrücken zu belegen, die sie von Samuel gelernt hatte.
Als Gretchen zurückkehrte, hockte Rachel immer noch laut weinend in der Ecke. Lea hatte ihr den Rücken gekehrt und zupfte an den hautengen Hosen, die Gretchen ihr besorgt hatte und die bis auf eine gewisse Stelle über dem Schritt wie angegossen saßen.
Gretchen betrachtete sie von allen Seiten und deutete auf ihre Scham. »Die Stelle müssen wir noch ausstopfen. Hier, nimm mein Kopftuch. Das dürfte reichen.«
Da Lea sich zu ungeschickt anstellte, griff sie ihr in die Hose und zog und schob den Stoff unter Rachels missbilligendem Schnauben und Schniefen so lange hin und her, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war.
»So gefällt es mir schon besser.
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