Die Goldhaendlerin
besonders diesen Alban von Rittlage, der die Sarninger Juden hatte überfallen lassen, um sich seiner Schulden bei ihnen zu entledigen. Erleichtert nahm Lea wahr, dass der Kaufmann Neuankömmlinge erspäht hatte und sich ihnen zuwandte, um seinen Wortschwall über sie zu ergießen.
So konnte sie sich endlich ihrer kalt gewordenen Suppe widmen. Ihr blieb nicht die Zeit, über die Begegnung nachzudenken, wie sie es gerne getan hätte, denn Rachel klammerte sich an sie und wollte getröstet werden. Da die Sonne den Horizont noch nicht berührt hatte, entschloss sie sich weiterzuziehen, um den Hetzreden gegen ihr Volk zu entgehen, die nun über den ganzen Hof schallten. Noch lange, nachdem sie die Herberge verlassen hatten, drehte Lea sich alle paar Schritte um und hielt Ausschau nach Verfolgern, denn sie hatte Angst, der Mann und seine Kumpane könnten sie doch noch als Juden erkannt haben. Als die Nacht herabsank, suchten sie in einem einsamen Schuppen Zuflucht und begnügten sich mit dem Brot, das sie in der Herberge erworben hatten, und am nächsten Morgen wärmte die aufgehende Sonne schon bald ihre steifen Glieder. Die Ängste, die die Begegnung mit dem Judenhasser ihnen eingeflößt hatten, begannen jedoch erst zu weichen, als sie die Abzweigung erreichen, die nach Hartenburg führte, und sie die viel begangene Hauptstraße verlassen konnten.
Die flache, von Dörfern gesprenkelte Rheinebene blieb hinter ihnen zurück, und sie wanderten an der ihnen nun entgegenfließenden Sarn entlang in den Schwarzwald hinein, der an dieser Stelle von steilen, mit uralten Tannen bewachsenen Hängen und kleinen Weilern geprägt war. Die Häuser waren niedriger als im fruchtbareren Flachland, und ihre Dächer reichten fast bis zum Boden hinab. Lea und Rachel begegneten Bauern, die sich auf steinigen Feldern abmühten, rochen den Rauch glimmender Kohlenmeiler und vernahmen die Hörner der Sauhirten, die mit ihren Herden durch die Wälder zogen.
Die Nacht verbrachten sie bereits in der Markgrafschaft Hartenburg. Das kleine Land lag eingezwängt zwischen viel mächtigeren Nachbarn wie Württemberg, Baden und den Habsburger Besitzungen und gehörte zu den eher unbedeutenden Herrschaften im Reich Deutscher Nation. Aber die Markgrafen hatten es verstanden, sich ihre Reichsunmittelbarkeit zu erhalten und ihr Gebiet durch geschickte Politik nach und nach zu erweitern. Lea kannte den regierenden Markgrafen Ernst Ludwig nur vom Sehen, erinnerte sich aber gut daran, was ihr Vater über ihn erzählt hatte, und als die Türme der Stadt zwischen den Höhenzügen in der Ferne auftauchten, begannen ihre Ängste sich wie ein Klumpen in der Kehle zu ballen. Nichts in ihren Erinnerungen deutete darauf hin, dass ihr Landesherr ihnen in ihrem Unglück gnädig sein würde. Das Aufenthaltsrecht und die Privilegien, die Jakob ben Jehuda, genannt Goldstaub, vom Markgrafen gegen teures Geld verliehen worden waren, hatten der Familie neben einigen besonderen Rechten und den damit verbundenen Verpflichtungen gerade das Mindeste von den Freiheiten zugestanden, die die Christen in Hartenburg ganz selbstverständlich besaßen, wie zum Beispiel die Erlaubnis, Waren gegen die normale Steuer in die Stadt bringen zu dürfen. All diese teuer bezahlten Privilegien waren ausdrücklich Jakob ben Jehuda zugestanden worden und mit seinem Tod nun erloschen. So hatte es der Vater des jetzigen Markgrafen bestimmt, als Leas Großvater Jehuda als Goldwäscher in diese abgelegene Gegend gekommen und durch Funde in der Sarn wohlhabend geworden war. Sein Sohn Jakob hatte nach Jehudas Tod all diese Rechte für teures Geld neu erwerben und dafür die Goldwäsche, die sein Vater zu Gunsten des Fernhandels aufgegeben hatte, noch einmal aufnehmen müssen. Was würde der Markgraf tun, wenn er vom Tod seines Hoffaktors erfuhr? Würde er die Privilegien auf Elieser übertragen oder ihre Familie fortjagen und einen anderen Hofjuden kommen lassen?
Die Angst, heimatlos über die Straßen ziehen zu müssen, wurde immer stärker, je näher sie der Stadt kamen. Lea konnte sich nicht vorstellen, dass der Markgraf einen schwer verletzten Jungen als Nachfolger seines Hoffaktors akzeptieren würde, und überlegte verzweifelt, was sie tun konnte, um sich dem drohenden Verhängnis entgegenzustemmen. In ihren Gedanken haderte sie mit Gott. Hätte er nicht wenigstens Samuel beschützen können? Ihr älterer Bruder hatte auch bei den Christen schon als Mann gegolten und war von seinem Vater in das
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