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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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müssen.«
    Der andere winkte ärgerlich ab. »Ich hätte so oder so zahlen müssen. Wenn der Jude das Geld nicht zurückfordert, so tut es der Markgraf an seiner Stelle. Ich muss sagen, da ist mir der alte Goldstaub noch lieber, denn mit dem kann man wenigstens noch reden.«
    Mehr konnte Lea nicht verstehen, denn der Lärm der Gassen schlug über ihr zusammen, und so bekam sie nicht mit, wie der Wächter seinen Kameraden anwies, ins Wachbuch einzutragen, dass der Jude Samuel, Sohn des Jakob Goldstaub, mit seinen Geschwistern von der Reise zurückgekehrt sei.

6.
    Jakob Goldstaubs Haus war weder größer noch prunkvoller als die Häuser seiner Nachbarn. Die Mauern bestanden aus dem gleichen braunen Fachwerk, und das Dach war ebenfalls mit dunkelgrauen Schieferplatten gedeckt. Auch bestanden die Füllungen der Fenster nicht aus Glas, sondern aus dünn geschabtem und eingeöltem Kalbsleder. Nur der Hof war um einiges größer, und die Schuppen, die ihn umgaben, deuteten darauf hin, dass hier größere Warenladungen umgeschlagen wurden. Leas Vater hatte nicht nur den Markgrafen, sondern auch die wohlhabenden Bürger der Stadt und aus der Umgebung mit hochwertigen Gütern aus fremden Ländern versorgt, es aber sorgfältig vermieden, mit seinem auch damit erworbenen Reichtum zu prunken.
    Als Lea das Hoftor erreichte, fand sie es verschlossen. Sie pochte heftig dagegen und hörte kurz darauf ein begütigendes »Ja, ja, ich komme ja schon.« Wenige Herzschläge später schwang das Tor auf, und Gerschoms Sohn Jochanan steckte seinen Kopf heraus. Es dauerte mehrere Augenblicke, bis er die abgerissenen Gestalten erkannte, die vor ihm standen.
    »Beim Gott Israels, was ist geschehen?«
    Lea hob warnend die Hand. »Sei still. Die Nachbarn dürfen nichts mitbekommen. Wir sind in das Sarninger Pogrom geraten. Mein Vater, Samuel und dein Vater sind tot, und wir drei konnten nur mit knapper Not entrinnen. Elieser ist schwer verletzt und braucht dringend einen Arzt. Lauf rasch zum Doktor und bitte ihn her, und hol auch den Wundarzt, damit er sich um Eliesers Knochenbrüche kümmert.«
    Jochanan war ein magerer Bursche von knapp achtzehn Jahren mit gekrausten braunen Haaren und einem mehr gutmütigen als hübschen Gesicht. Normalerweise konnte ihn nichts aus der Ruhe bringen, jetzt aber riss er die Augen auf wie ein Kalb, das die Klinge des Schächters fühlt, und presste stöhnend die Hände auf den Mund. Als er Leas mahnenden Blick auf sich gerichtet sah, stieß er das Tor so weit auf, dass sie den Handkarren hindurchschieben konnte, und rief nach Saul, dem zweiten Knecht. Der Mann, der seinem Ruf widerwillig folgte, war ein Dutzend Jahre älter als Jochanan und wirkte mit seiner breiten, untersetzten Figur wie ein Bauer aus der Rheinebene. Doch im Gegensatz zu jenen bewegte er sich träge und bequemte sich erst auf die wiederholte Aufforderung des Jüngeren, Lea zu helfen.
    Gerade, als Jochanan losrannte, um den Arzt zu holen, stürzte eine ältere, füllige Frau in den Hof, blieb wie angewurzelt stehen und starrte die Gruppe vor sich entgeistert an. Es war Sarah, die Mutter Jochanans und seiner Schwester Ketura, die als Wirtschafterin im Dienst der Familie stand und alles kontrollierte, was in Haus und Hof vorging. Ihre Lippen formten den Namen Samuel, aber sie brachte keinen Ton heraus. Dann ging ein Zittern durch ihren rundlichen Körper, und mit einem schrillen Aufschrei umarmte sie Lea und zog Rachel in der gleichen Bewegung an sich.
    »Vorgestern erst haben wir von dem Pogrom in Sarningen erfahren und sind vor Angst um euch bald selbst gestorben. Doch ihr lebt. Der Gott Abrahams, Isaaks und Israels sei gepriesen!«
    Lea ließ die Schultern sinken und zog Sarah ihrerseits an sich.
    »Nur wir drei konnten entkommen. Vater und Samuel sind tot und Gerschom ebenfalls. Du bist Witwe geworden.«
    Die Wirtschafterin stöhnte auf und fiel sichtlich in sich zusammen. Für einen Augenblick bedeckte sie ihre Augen und ließ die Tränen über ihre Hände fließen. Als sie die Arme sinken ließ, wirkte sie grau und vor der Zeit vergreist, gleichzeitig aber auch grimmig und entschlossen, keine ihrer Pflichten zu versäumen. Sie drehte sich zu Saul um, der sich gerade unauffällig entfernen wollte, und befahl ihm, Elieser vorsichtig mit anzuheben und ins Haus zu bringen. Zu dritt trugen sie ihn die Treppe hinauf in sein Zimmer. Als Lea Sarah helfen wollte, Elieser zu waschen und mit einem frischen Hemd zu versorgen, scheuchte die

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