Die Goldhaendlerin
war, hatte er dessen Stelle bei Jakob Goldstaub eingenommen und den Weg nach Augsburg mit der Kutsche zurückgelegt. Damals hatte er sich alle Mühe gegeben, die Strecke im Gedächtnis zu behalten, denn es war sein Traum gewesen, der vertraute Leibdiener Samuel ben Jakobs zu werden und ihn auf seinen Reisen zu kutschieren. Jetzt würde er warten müssen, bis Elieser genesen und vor allen Dingen alt genug war, die Geschäfte zu übernehmen, und seine Zukunft hing ebenso wie die des jungen Herrn davon ab, ob Lea das Erbe Jakob Goldstaubs für sie alle bewahren konnte.
Was das betraf, war Jochanan nicht sehr zuversichtlich, denn Lea war ja nur ein Mädchen, das nichts von Geschäften verstand und keinerlei Erfahrung besaß. Andererseits hatte sie bereits gezeigt, welch klugen Kopf sie auf ihren Schultern trug, denn sonst hätte sie den Markgrafen nicht so mühelos täuschen können. Während Städte wie Tübingen, Reutlingen, Ulm und Günzburg wie gesichtslose Schatten auf seinem Weg zurückblieben, versuchte Jochanan, aus dieser Tatsache Zuversicht zu schöpfen. Ging es Lea und ihrer Familie gut, hatten auch die Bediensteten ein festes Dach über dem Kopf und konnten manche Annehmlichkeiten genießen. Er würde alles tun, damit es so blieb, und vor allen Dingen wollte nicht er schuld sein, wenn innen die Heimat verloren ging. Gerschom hatte seinem Sohn oft genug erklärt, wie ein Jude sich auf Reisen zu verhalten hatte, und an diese Lehren hielt Jochanan sich. Nie nächtigte er im Freien, wo die Gefahr bestand, dass sich Räuber oder verspätete Reisende einen Spaß daraus machten, ihn zu quälen oder gar zu töten, und in den Herbergen bat er stets nur um einen Platz im Hof oder bei schlechtem Wetter unter einem Vordach. Dabei beklagte er sich weder über zu hohe Preise noch über schlechtes Essen und verlangte auch nicht nach koscherer Nahrung. Sein Vater hatte ihn auch vor dem Essen gewarnt, dem die Christen gerne Schweinefleisch beimischten, und so begnügte er sich mit Brot und Fisch, und Anfeindungen und derben Späßen begegnete er mit derselben freundlichen Langmut, die er bei seinem ermordeten Herrn so bewundert hatte. Jakob ben Jehuda hatte sich niemals beschwert, wenn man ihm Bier über den Kopf schüttete oder freche Burschen die von Schweinefett triefenden Hände an seinem Kaftan abwischten, sondern hatte seine Peiniger kraft seines Willens mit Freundlichkeit beschämt.
»Man muss sich biegen, wenn man nicht brechen will«, hatte Jakob ben Jehuda Jochanan auf jener Reise erklärt. »Samuel wird das noch lernen müssen, auch wenn er mehr Mut besitzt als die Ritter, die auf ihren Burgen sitzen, verächtlich auf uns Juden herabsehen und uns insgeheim glühend um den Reichtum beneiden, den Generationen unseres Volkes geschaffen haben, während sie und ihre Vorfahren ihr Hab und Gut in sinnlosen Fehden verschleuderten.«
Ja, Samuel war mutig gewesen, zu mutig vielleicht, dachte Jochanan und wünschte sich, er hätte mit Lea über ihn sprechen können. Sie verehrte ihren Bruder über jede Vernunft hinaus und hielt ihn für unfehlbar, denn sie hatte nie ein kritisches Wort über ihn hören wollen. Jochanan glaubte, Samuel besser zu kennen als sie, und grübelte tagelang über der Frage, ob sein Herr und sein Vater noch am Leben sein könnten, wenn Samuel nicht versucht hätte, sie gegen die eindringenden Christen zu verteidigen. Irgendwann aber kam er zu dem Schluss, dass auch er aufbegehrt hätte, wenn sein Vater von rauen Händen geschunden worden wäre.
Als die Türme von Augsburg vor ihm auftauchten, verbannte Jochanan seine düsteren Gedanken tief in seinem Inneren. Bisher konnte er mit sich zufrieden sein, denn er hatte sein Ziel nach nur zehn Tagen erreicht und hoffte, den Rückweg in der gleichen Zeit zu schaffen. Als er sich dem wuchtigen, aus großen Quadersteinen errichteten Stadttor näherte, warf er den Wachen einen ängstlich prüfenden Blick zu, behielt aber sein einfältiges Lächeln bei und streckte ihnen unaufgefordert einen Doppelkreuzer als Torsteuer hin. Die Torwächter der Städte spielten einreisenden Juden oft böse Streiche, aber die Männer hier, die in die Farben der Stadt gekleidet waren und ihr Wappen auf der Brust trugen, interessierten sich nicht für einen jungen Mann in einem abgetragenen Kaftan mit verblasstem Judenring auf der Schulter, sondern nahmen ihm wortlos die Münze ab und winkten ihn genauso lässig durch wie andere Wanderer. Trotzdem wagte Jochanan erst stehen zu
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