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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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bleiben und sich umzusehen, als er das Tor ein Stück weit hinter sich gelassen hatte. Vor ihm öffnete sich die Straße zu einem kleinen Marktplatz, auf dem Bauern ihr restliches Gemüse und ein paar Hühner billig anboten, um endlich nach Hause zurückkehren zu können.
    Jochanan zwängte sich zwischen den eng stehenden Wagen hindurch, wich unter dem Gelächter der Umstehenden einem Kasten aus, in dem mehrere Ferkel quiekten, und versuchte sich zu erinnern, welche der vier Gassen, die von dem Markt in die Stadt abzweigten, zum Judenviertel führte. Noch während sein Blick über die Häuserzeilen irrte, zupfte jemand an seinem Mantel. Er drehte sich um und sah einen Jungen vor sich, dessen Kittel das Waschen genauso dringend nötig gehabt hätte wie Hals und Gesicht.
    Der Knirps starrte ihn aus blauen, unschuldig wirkenden Kinderaugen an. »Bist du fremd hier, Jude?«
    Wider Willen nickte Jochanan.
    »Wenn du mir sagst, wohin du willst, werde ich dich führen. Es kostet dich nur einen Heller.«
    Jochanan atmete erleichtert auf und nestelte eine Münze aus dem dünnen Beutel an seinem Gürtel. »Ich will zu Ruben ben Makkabis Haus. Kennst du es?«
    Der Junge machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wer kennt es nicht? Schließlich steht der alte Jude bei den Stadtoberen in hoher Gunst, höher sogar als die meisten ehrlichen Christenmenschen.«
    Einen Augenblick lang war seinem Gesicht anzusehen, wie diese Tatsache die christlichen Einwohner fuchste. Sofort aber grinste er wieder, versprach Jochanan, ihn bis vor das Haus zu bringen, und fing geschickt die Münze auf, die dieser ihm zuwarf. Er führte Jochanan durch ein Gewirr von Straßen in ein Gässchen, in dem die hohen, schmalen Fachwerkhäuser sich mit jedem Stockwerk einander mehr zuneigten, bis die Giebel sich beinahe berührten. Unten am Boden herrschte trotz des hellen Tages ein diffuses Dämmerlicht, in dem man kaum die Hand vor Augen sehen konnte, und es stank so erbärmlich, dass Jochanan gar nicht wissen wollte, was alles auf dem weichen, glitschigen Boden herumlag. Da er sich nicht daran erinnern konnte, bei seiner Reise mit Jakob ben Jehuda durch diese schmutzige Gasse gekommen zu sein, tastete er nach seinem Führer, der vor ihm gehen musste. Doch den schien der Erdboden verschluckt zu haben.
    Wütend über sich selbst, weil er trotz besseren Wissens auf einen schmierigen kleinen Jungen hereingefallen war, drehte Jochanan sich um, stapfte zum Ausgang der Gasse zurück und versuchte, das Judenviertel auf eigene Faust zu finden. Er schob sich an schwer beladenen Passanten vorbei, die ihm wütend befahlen, aus dem Weg zu gehen, oder ihn direkt gegen eine Hauswand stießen. Niemand war willens, auf seine Frage nach Ruben ben Makkabis Haus zu antworten, und so stolperte Jochanan in wachsender Verzweiflung weiter. Endlich stieß er auf einen größeren Platz, der von einer mächtigen Kirche beherrscht wurde. Er wusste nicht, ob er vor dem hiesigen Münster oder einer der geringeren Kirchen stand, so dass das Gebäude ihm auch nicht half, sich zu orientieren. Gerade, als er einen weiteren Versuch machen wollte, einen der Vorübereilenden zu fragen, fiel ihm eine Frau mit einer weißen Flügelhaube auf, die ihren Kopf völlig umschloss und nur das Gesicht freiließ. Über ihrem langen Kleid aus dunkler Wolle trug sie einen hüftlangen Übermantel, auf dessen linker Schulter deutlich der gelbe Judenkreis zu sehen war, und in der Hand hielt sie einen schweren, mit einem bestickten Tuch bedeckten Korb.
    Jochanan rannte ihr nach und sprach sie an. »Gute Frau, könnt Ihr mir Rat geben? Ich suche das Haus des ehrwürdigen Ruben ben Makkabi, wurde aber von einem Gassenjungen in die Irre geführt.«
    Die Frau blieb stehen und musterte Jochanan. Ihm war die lange Reise anzusehen, und seine Kleidung wies ihn als Knecht aus. Trotzdem grüßte sie ihn freundlich. »Friede sei mit dir, Bruder. Bekümmere dich nicht länger wegen des Streichs eines frechen Burschen, sondern folge mir. Meine Familie wohnt direkt neben ben Makkabi.«
    Erfreut bot Jochanan der Frau an, ihr den Korb zu tragen. Die Frau schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich werde einen Sohn Israels nach so einer langen Wanderung wie der deinen doch nicht als Lastesel benützen. Du warst gewiss großen Gefahren ausgesetzt?«
    Obwohl Jochanan ihr fremd war, schien sie sich zu freuen, mit ihm reden zu können. Er antwortete höflich, dass die Reise nicht so schlimm gewesen sei, und berichtete ihr dann von dem

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