Die Goldhaendlerin
Sarninger Massaker, das so sehr auf seiner Seele lastete, als wäre er selbst nur mit knapper Not entkommen. Die Frau hatte bereits davon gehört und erzählte ihm, dass diese Nachrichten die Augsburger Judengemeinde in tiefe Trauer gestürzt hatten.
»Leider ist Sarningen kein Einzelfall«, fuhr sie fort. »Immer wieder erfahren wir von Vertreibungen und Morden. Gott allein weiß, warum unser Volk in diesen Tagen so furchtbar bedrängt wird. Die Christen verbreiten ständig neue Lügen über uns und behaupten, wir würden ihre Kinder schlachten und ihr Blut für unser Passahbrot verwenden. Dann wiederum machen sie einander weis, wir würden die Brunnen vergiften, damit die Christen zugrunde gehen. Mein Gott, wie können sie nur auf so etwas kommen? Es sind doch dieselben Brunnen, aus denen auch wir unser Wasser schöpfen. Außerdem sagen die Rabbiner, dass die meisten Krankheiten und Seuchen von der Unsauberkeit kommen, in der die Christen leben. Das wundert mich nicht, denn ihre Mönche und Priester predigen, dass es Sünde sei, seinen Körper zu waschen, da es Wollust erzeuge und üble Triebe. Ich kann nicht begreifen, dass die Menschen so etwas glauben. So dumm können doch selbst Christen nicht sein.«
Jochanan hatte den Christen den Tod seines Vaters noch nicht vergeben und war bereit, alles Schlechte von ihnen anzunehmen.
»Ich glaube, ihre Priester verdrehen den Leuten bewusst den Kopf und sorgen so dafür, dass die Christen üblen Sinnes sind und nur Böses wollen. Dabei behaupten sie aber, sie würden sich an die überlieferten Gesetze des Mosche Rabbenu zu halten, die besagen, dass man nicht töten soll.«
Während des Gesprächs hatten sie die Judengasse erreicht und traten durch das offen stehende Tor. Die Häuser hier drinnen unterschieden sich kaum von denen der anderen Einwohner Augsburgs. Sie waren im gleichen Fachwerkstil erbaut, besaßen dieselben schiefergedeckten Dächer, und aus den Kaminen quoll ebenfalls grauer Rauch. Dennoch fühlte Jochanan sich hier sofort heimisch. Er konnte nicht sagen, ob es an den religiösen Symbolen lag, mit denen die Fensterhäute bemalt waren, oder am Geruch vertrauten Essens. Dieser Fleck hier war ein kleines Stück Juda in der Fremde, auch wenn das gekrönte Jerusalem weit jenseits aller Träume lag. Jochanan erinnerte sich, dass es hier in Augsburg eine Synagoge gab und beschloss, sie so bald wie möglich aufzusuchen. Das Fehlen eines geweihten Raumes, in dem sie beten konnten, stellte die größte Einschränkung ihres Lebens in Hartenburg dar. Die Bestimmungen des Markgrafen hatten es Jakob ben Jehuda verboten, andere Juden nachzuholen oder einen Rabbi für mehr als ein paar Tage zu Gast zu laden. Selbst die Lehrer seiner Söhne hatten die Markgrafschaft vor Ablauf von zwölf Wochen wieder verlassen müssen.
»Dort ist das Haus des ehrenwerten Rabbi Ruben.« Die Stimme seiner Begleiterin rief Jochanan wieder in die Gegenwart zurück. Er wunderte sich, dass Ruben ben Makkabi als Rabbi bezeichnet wurde, erinnerte sich dann aber daran, dass sein verstorbener Herr ihn einen talmudkundigen Mann genannt hatte.
»Ich danke dir.« Jochanan verneigte sich vor seiner Führerin und betätigte den Türklopfer, der mit einem verschlungenen Willkommensgruß verziert war. Die Frau ging ein paar Schritte weiter, blieb vor einem anderen Haus stehen und wartete, bis Ruben ben Makkabis Haustür geöffnet wurde. Jochanan nickte ihr noch einmal dankbar zu und grüßte dann den Diener, der ihn kritisch musterte. Der Mann schien ihn als seinesgleichen einzuschätzen und ließ ihn mit einer herablassenden Geste ein. Während Jochanan seine Schuhe auszog und den nicht weniger schmutzigen Mantel im Flur ablegte, meldete der Diener ihn seinem Herrn. Kurz darauf vernahm Jochanan eine laute, überrascht klingende Stimme, und als er sich umdrehte, kam der Hausherr auch schon auf ihn zu und begrüßte ihn überschwänglich.
Ruben ben Makkabi war ein Mann um die fünfzig, mittelgroß und von hagerer Gestalt, und sein Gesicht wirkte durch den langen, grauen Bart noch schmaler, als es bereits war. Er trug einfache Lederpantoffel und einen langen Hausmantel aus brauner Wolle und hatte seinen Kopf mit einer schlichten Kippah bedeckt. »Kommst du wirklich aus Hartenburg?«, fragte er Jochanan ganz aufgeregt. »Wir haben schon von dem schrecklichen Geschehen gehört, dem unser Bruder Jakob ben Jehuda und seine Familie zum Opfer gefallen sind.«
»Ja, mein Herr ist tot und S..„ äh, mein
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