Die Goldhaendlerin
Hände reiben würden, wenn sie erführen, dass ein biederer Handelsagent aus Hamburg in Wirklichkeit jener Orlando ist, der ihnen so am Herzen liegt. Schließlich streuen sie inzwischen schon säckeweise Gulden aus, um mich in die Hände zu bekommen.«
»Du bist ein Tollkopf, Orl… eh, Roland«, antwortete sein Gastgeber mit einem gezwungenen Lachen. »Ich muss jedoch zugeben, dass mir der Name Roland Fischkopf leichter über die Lippen kommt als dieses Orlando Terrassa de Keredo ü Kunncholl, unter dem ich dich kennen gelernt habe.«
»Orlando Terasa de Quereda y Cunjol«, verbesserte Orlando seinen Gastgeber mit liebenswürdiger Miene. Er sprach die spanischen Worte so geläufig aus wie jemand, der diese Sprache bereits mit der Muttermilch eingesogen hat.
»Kein Wunder, dass du dich lieber Roland Fischkopf nennst. Das andere kann sich doch kein normaler Mensch merken.«
Der Bankier hatte seinen Unmut bereits wieder vergessen und rief nach einem frischen Krug Wein.
»Spanischer Wein ist das Einzige, was ich an den Ländern Iberiens liebe«, erklärte er Orlando, während der Diener ihnen die Becher füllte.
»Das kann ich nicht beurteilen, denn ich war noch nie dort«, log der junge Mann dreist. »Aber ich gebe zu, dass dieser Trunk von einer ausgezeichneten Rebe stammt. So etwas Feines bekommt man selten zu kosten.« Er trank aus und streckte dem Diener auffordernd den Becher hin.
Dem Mann war anzusehen, dass er den besten Wein seines Herrn nur ungern an einen Menschen vergeudete, den er für einen lockeren Vogel hielt. Orlando wartete, bis der Mann das Zimmer wieder verlassen hatte. »Was hältst du von Sauls Bericht über das Massaker in Sarningen?«
»Es war ein schreckliches Ereignis! Warum fragst du?«
»Weil der Bursche meinem Gefühl nach ein wenig dick aufgetragen hat. Ich verstehe euer Jiddisch nicht so gut, um alles zu verstehen, doch wäre das Pogrom in Sarningen wirklich so schlimm gewesen, hättest du es als einer der Ersten erfahren. Es mag vielleicht einige Tote gegeben haben, aber kein Hinschlachten Hunderter.«
»Gebe Gott, dass du Recht hast, Roland. Mich schmerzt jeder unserer Brüder, der aus blindem Glaubenshass niedergemetzelt wird.« Zofar ben Naftali nahm den Becher zur Hand und trank, um die trüben Gedanken hinunterzuspülen. Schließlich musterte er Orlando mit einer Mischung aus Besorgnis und einer gewissen Heiterkeit.
»So, nun hast du vorhin so viel vom Geschäft geredet, dass mein armer Kopf beinahe platzt. Gott gebe, dass deine neuen Verbindungen zuverlässig sind und mir keinen Verlust einbringen.«
»Habe ich dich jemals enttäuscht oder gar betrogen?«
»Nein, das nicht. Im Gegenteil, du hast meinen Reichtum kräftig gemehrt. Aber du tust mir immer zu geheimnisvoll, und ohne Grund würdest du mir diesmal keinen so großen Anteil zubilligen. Also heraus mit der Sprache! In was für ein verrücktes Unternehmen willst du mich jetzt wieder verwickeln?«
8.
Diesmal konnte Lea sich dem Sog nicht entgegenstemmen.
Die Strömung wirbelte sie herum wie ein Bündel Lumpen, Wasser drang ihr in Nase und Mund, und es war, als würde der Druck ihr den Brustkorb zerquetschen. Mit letzter Kraft hielt sie sich an einem Felsen fest und tastete nach der Höhlung, in die sie hineintauchen musste. Als sie sie fand, streckte sie die Beine hinein, um nach einem Halt für ihre Zehen zu suchen. Sofort saugte die Strömung sie in die Tiefe und warf sie so hart gegen den Grund, dass sie glaubte, ihre Rippen müssten zerspringen. Irgendwie gelang es ihr, sich an einem größeren Stein festzuhalten und den ledernen Eimer zu sich zu ziehen, den sie mit einer Leine an der Hüfte befestigt hatte. Sie klemmte sich seinen Rand zwischen die Zähne und schaufelte mit der freien Hand das Geröll um sie herum hinein. Wenn sie heute ebenso viel Gold mit hochbrachte wie an den beiden vergangenen Tagen, würde sie ihr Leben kein weiteres Mal mehr aufs Spiel setzen. Inzwischen hatte sie verstanden, warum ihr Vater nicht mehr in dieses Loch hatte hinabtauchen wollen. Es war tatsächlich der Vorhof zur Hölle, den zu betreten nur ein Verzweifelter wagte, jemand, der wie sie keine andere Chance mehr sah, sich und seine Familie vor Elend und Tod zu bewahren.
Sie ertastete einen Brocken, der so schwer war, dass sie ihn kaum bewegen konnte. »Oh, Gott meiner Väter, lass es Gold sein. Steine haben wir schon genug herausgeholt«, flehte sie in Gedanken.
Noch während sie den Klumpen in den Eimer schob,
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