Die Goldhaendlerin
viel«, antwortete Lea so leichthin wie möglich und versuchte zu lächeln. Gleichzeitig machte es sie traurig, weil sie niemanden hatte, mit dem sie ihre Sorgen teilen konnte. Sarah durfte sie nicht mit neuen Problemen belasten, denn die brave Alte würde vor Angst keinen Schlaf mehr finden, und sonst gab es niemanden, dem sie vertrauen konnte oder der ihre Situation verstand.
»Ernst Ludwig will sich wieder vermählen, und ich soll ein paar Sachen für ihn besorgen. Deswegen muss ich schon morgen nach Straßburg aufbrechen. Bitte lass frische Kleidung für Jochanan und mich bereit legen.«
»Du willst schon wieder fort?« Sarah schnaubte empört, wagte aber keine Widerrede, sondern eilte ins Haus, um alles für Leas Abreise vorzubereiten.
Lea folgte ihr etwas langsamer. Mit müden Bewegungen stieg sie die Stufen zum ersten Stock empor, wo die Tür zu Eliesers Zimmer weit offen stand. Ihr Bruder saß auf seinem Kissen, las konzentriert in dem neuen Talmud und schien der Welt völlig entrückt zu sein.
Lea hätte ihn in dem Augenblick am liebsten gepackt und ihn so lange geschüttelt, bis er begriff, dass die Welt nicht nur aus ihm selbst bestand. Die meisten jüdischen Männer verbrachten viele Stunden am Tag damit, die heiligen Schriften zu studieren, und sie lebten fromm und möglichst buchstabengetreu nach den Gesetzen ihres Volkes, gingen aber mit gleicher Energie ihrem Gewerbe nach. Selbst berühmte Rabbis scheuten die Arbeit nicht, die ihnen und ihren Familien Brot und Obdach gab. Elieser kümmerte sich jedoch um nichts weiter als um seine Bücher und ließ sich umsorgen wie ein kleines Kind. Vorhin, bei ihrer Rückkehr, hatte sie sich noch fest vorgenommen, ihren Bruder bei der Hand zu nehmen und ihn, ob er wollte oder nicht, in ihre Geschäfte einzuführen. Doch dazu würde es in der nächsten Zeit nicht kommen, denn das, was sie für den Markgrafen heranschaffen musste, ließ sich nur zu einem geringen Teil durch Briefe erledigen, auch dann nicht, wenn sie diese nicht einem Handelszug mitgab, sondern sie durch die kaiserlichen Posthalter oder gar durch berittene Boten des Markgrafen befördern ließ, was ihr in diesem Fall möglich war. Sie schüttelte die bedrückenden Gedanken ab und ging weiter. Als sie an der Tür zur guten Stube vorbeikam, sah sie Rachel drinnen am Kamin sitzen und im Licht eines Kienspans ein Bettlaken flicken. Als ein Dielenbrett unter Leas Fuß knarrte, blickte das Mädchen auf, warf ihre Arbeit auf den Boden und funkelte die Schwester zornig an.
»Dir gefällt es wohl, den Hausherrn zu spielen, während ich mich als Dienstmagd abplagen muss. Sieh her, ich habe mich sogar gestochen.« Damit streckte sie Lea ihren linken Zeigefinger entgegen, auf dem ein winziger roter Punkt zu sehen war. Lea dachte an ihre Fingerspitzen, die oft wie ein Nadelkissen durchlöchert gewesen waren, wenn sie in einer düsteren Ecke Samuels Lehrern zugehört und dabei fleißig genäht und geflickt hatte. Um des lieben Friedens willen schluckte sie eine scharfe Bemerkung und bedauerte ihre Schwester mit ein paar tröstenden Worten.
Rachel aber wollte sich nicht beruhigen lassen. »Wenn du dich darum kümmern würdest, dass wir mehr Dienstboten bekämen, müsste ich mich nicht so abplagen und meine Finger ruinieren.«
Lea trat näher und betrachtete die wohlgeformten Hände ihrer Schwester, die keine Spuren harter Arbeit aufwiesen. Am liebsten hätte sie ihr von Ruben ben Makkabis Tochter Hannah erzählt, deren Hände keinen Moment zu ruhen schienen. Doch ihr war klar, dass Rachel ihr weniger wegen der Arbeit gram war, die sie tun musste, sondern weil sie, Lea, nicht zu Hause blieb und wieder Hausfrau und Ersatzmutter spielte wie vor Samuels Tod.
So schüttelte sie nachsichtig den Kopf. »Wir können derzeit keine neuen Dienstboten nachholen. Zum einen kostet die Erlaubnis viel Geld, und zum anderen könnten wir unser Geheimnis dann nicht mehr bewahren. Doch sobald Elieser die Geschäfte übernimmt, wird er mit unserem Landesherrn darüber verhandeln können.«
Ihre Schwester fuhr auf. »Wann sollte das sein? Du denkst doch gar nicht daran, dir das Heft aus der Hand nehmen zu lassen, sondern redest Elieser ein, er sei ein wertloser Krüppel, der gerade mal gut genug ist, das Sabbatgebet zu sprechen.«
Noch ehe sie das letzte Wort ausgesprochen hatte, riss Leas Geduldsfaden, und ihre Hand klatschte auf Rachels Wange.
»Das will ich kein zweites Mal mehr hören! Bildest du dir ein, es wäre so
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