Die Goldhaendlerin
lustig, in einer Schenke zu sitzen, sich gottlose Schmähungen anhören zu müssen und darauf zu warten, auf einem Scheiterhaufen verbrannt zu werden? Oder möchtest du ein Schwein küssen und damit vor einer Rotte grölender Betrunkener herumtanzen?«
Ihre Stimme überschlug sich, und sie sah ganz so aus, als wollte sie noch einmal zuschlagen. Rachel wich hinter die Truhe zurück und hob die Hände vors Gesicht. Als sie sah, dass Lea ihr nicht folgte, giftete sie weiter. »Den armen, hilflosen Elieser aber willst du in diese grausame Welt hinausjagen.«
Auf diese Unterstellung wusste Lea nichts zu antworten. Sie hatte schon mehr gesagt, als sie wollte. Daher drehte sie ihrer Schwester brüsk den Rücken zu und ging, ohne noch einmal nach rechts oder links zu sehen, in ihr Zimmer. Es war nicht mehr die enge Dachkammer, die sie früher bewohnt hatte, sondern der Raum, in dem ihr Vater gearbeitet und geschlafen hatte und der eigentlich Elieser als Oberhaupt der Familie zugestanden hätte. Da das Zimmer ihres Bruders luftiger und nicht mit Tischen, Truhen und Borden voller Geschäftspapiere vollgestopft war, hatte er es ihr großzügig überlassen. So brauchte sie nicht erst aus dem zweiten Stock herabzuklettern, wenn sie Unterlagen einsehen wollte, und konnte auch nachts arbeiten, ohne die anderen durch knarrende Treppenstufen zu stören.
Jetzt zog sie die Tür mit einem heftigen Ruck ins Schloss, so dass es durch das ganze Haus hallte, und schob den Riegel vor. Dann warf sie sich auf das Bett, ohne darauf zu achten, dass sie immer noch ihre schmutzige Reisekleidung trug, und ließ ihren Tränen freien Lauf. So mutlos wie an diesem Tag hatte sie sich selten zuvor gefühlt.
Lea wusste nicht, wie lange sie sich ihrer Verzweiflung hingegeben hatte. Mit einem Mal war es ihr, als hätte jemand die schwarze Decke gelüftet, die sich über ihrer Seele ausgebreitet hatte, so dass ein helles Licht in ihr aufleuchtete. Ihr Kampfgeist war wieder erwacht. Sie hatte sich und ihre Geschwister vor drei Jahren nicht gerettet, indem sie die Hände in den Schoss gelegt hatte. Damals hatte sie getan, was sie nur konnte, um sie lebend zurückzubringen und ihnen allen die Heimat zu sichern. Jetzt machte sie sich Vorwürfe, weil sie sich zu lange an Hartenburg geklammert hatte. Die Markgrafschaft war keine sichere Bleibe mehr, denn Ernst Ludwig hatte Blut oder, besser gesagt, Geld geleckt. Er würde immer höhere Summen fordern, gegen die die Hartenburger Steuerpacht bald ein Tropfen auf dem heißen Stein sein würde. Nicht zum ersten Mal fragte Lea sich, wie es ihrem Vater gelungen war, den Geldhunger der Markgrafen und dessen Vorgänger so weit einzudämmen, dass er und seine Familie von den Resten seiner Einkünfte behaglich hatten leben können. In dem Punkt hatte sie offensichtlich versagt und bekam nun die Folgen zu spüren.
Mit einem Ruck setzte sie sich auf und bleckte die Zähne in Richtung der Burg, deren Umriss sich durch die Wachfeuer und das helle Mondlicht gegen einen schwarz werdenden Himmel abzeichnete. »Eure Gier wird Euch bald selbst treffen, Euer Durchlaucht. Wenn Ihr mich schlachten und ausnehmen wollt wie ein Hühnchen für das Sabbatmahl, schneidet Ihr Euch ins eigene Fleisch.«
Ihre Stimme war nicht so fest, wie sie gehofft hatte, denn ihr war klar, dass sie der Macht des Markgrafen nichts entgegenzusetzen hatte. Wenn sie ihn verärgerte, würde er seine Soldaten schicken, ihr Haus und das greifbare Vermögen beschlagnahmen und sie und ihre Angehörigen aus Hartenburg vertreiben. Vielleicht würde er sie auch in den Turm werfen und foltern lassen, wie es Juden andernorts schon häufig ergangen war, um alle Gelder in die Hand zu bekommen, die sie außerhalb Hartenburgs angelegt hatte.
»So weit darf es niemals kommen«, schwor Lea sich. Sie stand auf, legte den schmutzigen Mantel und den Kaftan ab und öffnete die Tür, um nach Gomer zu rufen, die ihre beiden Lampen putzen und mit frischen Dochten versehen sollte. Die Magd erschien so schnell, als hätte sie nur auf Leas Ruf gewartet. Als die beiden Öllampen brannten, dankte Lea ihr knapp, zog mit einem Ruck die Vorhänge zu und nahm die Korrespondenz zur Hand, die Sarah sorgfältig aufgestapelt hatte. Das erste Schreiben stammte von ihrem spanischen Geschäftspartner Rodrigo Varjentes de Baramosta und war in jenem hölzernen Latein gehalten, mit dem gelehrte Kaufleute verschiedener Zungen miteinander korrespondierten. Obwohl Lea mittlerweile viele Worte
Weitere Kostenlose Bücher