Die Goldhaendlerin
eine zweite Haut auf ihren voller gewordenen Brüsten und hätte jedem Vorbeikommenden offenbart, dass eine Frau in ihm steckte.
Am Nachmittag holten sie einen Wanderer ein, der ähnlich wie Jochanan unter einer breiten, mit allerlei billigen Waren behangenen Kiepe einher stapfte. Er hatte seine Kleidung bis auf das dünne, lange Hemd ausgezogen und sich den Kaftan um die Hüften geschlungen.
Als er Leas und Jochanans Schritte hinter sich vernahm, blieb er stehen und blickte ihnen entgegen. Sein Bart war schütter und vor der Zeit ergraut, doch seine dunklen Augen blitzten listig unter seinen dichten Brauen hervor. »Friede sei mit euch, Brüder!«
»Friede sei auch mit dir, Bruder«, antwortete Lea in einer Stimmlage, die zu tief für eine Frau klang. Sie hatte lange geübt, um Samuel ben Jakob glaubhaft darstellen zu können.
»Treibt ihr hier Geschäfte?«, fragte der Kiepenhändler misstrauisch. Anscheinend war dies hier sein Revier, und er wollte es nicht mit Konkurrenten teilen.
Lea schüttelte den Kopf. »Nein, Bruder. Wir sind auf dem Weg ins Burgundische und haben diesen Pfad nur gewählt, um den Weg abzukürzen.«
»Bis ins Burgund habt ihr aber noch ein ganzes Stück zurückzulegen. Ich bin Gideon aus Vogtsberg und habe von den Herren dieser Gegend die Erlaubnis zum Tandhandel erhalten.«
»Mein Name ist Samuel, und das ist mein Freund Jochanan«, erklärte Lea erleichtert darüber, ihren Vatersnamen nicht nennen zu müssen. Anscheinend war dies unter den Landjuden, zu denen Gideon vermutlich zählte, nicht mehr üblich. Sie kannte Vogtsberg nicht, hielt es aber für eine jener elsässischen Herrschaften, die es hier zuhauf gab. Der Name deutete darauf hin, dass es sich um habsburgischen Besitz handelte, der jedoch nicht Kaiser Friedrich III. gehörte, sondern dessen Vetter Sigismund. Auch ihr Ziel Burgund zählte seit neuestem zu den Habsburger Erblanden, allerdings regierte dort Maximilian, der Sohn des Kaisers, als Herzog. Von der Stelle, an der sie sich jetzt befanden, bis zu den burgundischen Grenzen waren es keine zehn deutschen Meilen, und nur ein Tandhändler wie Gideon konnte diese Strecke als weit empfinden. Lea freute sich jedenfalls über das Zusammentreffen, denn der Mann kannte gewiss die Leute in dieser Gegend und würde in der Herberge die Aufmerksamkeit von ihr und Jochanan ablenken.
So kam es auch. Die Knechte des Wirtes begrüßten den Kiepenhandler mit gutmütigem Spott und schenkten den beiden Juden in seiner Begleitung keinen zweiten Blick. Gideon führte seine neuen Bekannten zu einer halb von Gestrüpp überwucherten Bank im Schatten des Ziegenstalls und besorgte dann Essen für sie alle. Es bestand aus Brot, hartem Käse und Wasser, das mit einem winzigen Schuss Wein veredelt worden war. In einem Land, in dem der Wein billig war, zeugte das am meisten von der Armut des Wanderhändlers. Er schien anzunehmen, dass seine beiden Glaubensbrüder ebenfalls nicht gut gestellt waren, und Lea hatte nicht die Absicht, ihn eines Besseren zu belehren.
Während sie ihr karges Mahl einnahmen, erzählte Gideon von seiner Frau, seinen Kindern und dem Rest seiner Sippe, die in der Herrschaft Vogtsberg ihr Auskommen und eine gewisse Sicherheit gefunden hatten. Er berichtete auch von seinen Geschäften und war sichtlich stolz darauf, neben einem schon wohlgefüllten Sack Mehl auch ein paar mindere Münzen für seine Waren eingetauscht zu haben.
So viel Armseligkeit machte Lea fassungslos. Dieser Gideon würde in seinem ganzen Leben nicht so viel verdienen wie sie bei einem einzigen ihrer Geschäfte. Er schien jedoch zufrieden zu sein und sah sein jetziges Leben in einem rosigen Licht, denn als Kind hatte er zweimal miterleben müssen, wie seine Familie all ihrer Habe beraubt und aus der Stadt vertrieben worden war.
»Auf dem Land lebt es sich um einiges besser als in einem Ghetto«, beteuerte er lebhaft. »Wir besitzen ein hübsches Gärtchen, das mein Weib und meine Kinder versorgen, und können uns sogar ein paar Hühner und eine Ziege halten. Außerdem sind die Nachbarn viel freundlicher als in den Städten, in denen die hohen Herren und die Handwerkszünfte unsereinem schier die Luft zum Atmen abschnüren.«
Lea überließ es Jochanan, die Unterhaltung mit Gideon zu bestreiten. Nach seinen Worten stammten sie von der anderen Seite des Rheines und hatten die Erlaubnis erwirkt, im Burgundischen Handel treiben zu dürfen. Gideon wunderte sich zwar, weshalb sie so weit fortreisten, bohrte
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