Die Goldhaendlerin
Schulden zu zwingen, hatte sie von Fischkopf wissen wollen, ob er nicht einen christlichen Bankier kenne, der in der Lage war, diese Gelder einzutreiben. Die Notiz, die Fischkopf ihr daraufhin geschickt hatte, war kurz und wenig informativ gewesen. Er sei Anfang Juni im burgundischen Vesoul, schrieb er, und sie solle Rittlages Schuldbriefe dorthin bringen. Lange hatte sie mit sich gerungen, ob sie sich auf den Weg machen sollte. Zuerst hatte sie sich gesagt, dass es reine Zeitverschwendung sein würde, Fischkopfs Aufforderung zu folgen, doch dann hatte ihre Unternehmungslust gesiegt, denn sie sagte sich, dass sie mit jedem Gulden, den sie für ihre Schuldbriefe erhielt, Hartenburg eher verlassen konnte. Die wertvollen Dokumente trug sie gut versteckt mit sich, und doch war ihre Sorge, sie könnten ihr abhanden kommen, größer als die um das Flussgold, das sie bei früheren Wanderungen mit sich geschleppt hatte.
»Hoffentlich hält Fischkopf mich nicht ein weiteres Mal zum Narren«, murmelte sie vor sich hin, während sie die Briefe wieder verstaute. Sie ging zum Abtritt und danach zu ihrer Schlafstelle. Als sie die Tür des Verschlags öffnete, scholl ihr ein doppeltes Schnarchkonzert entgegen. Lea suchte sich ein freies Plätzchen, wickelte sich in ihren Mantel und legte sich hin. Mehr als der Lärm um sie herum hielten ihre wirbelnden Gedanken sie jedoch noch lange wach.
2.
Am nächsten Morgen brachen sie nach einem kärglichen Frühstück auf. Zunächst hatte Gideon noch denselben Weg wie sie und unterhielt sie mit fröhlichem Geschwätz. Dabei versuchte er, sie von den Vorteilen des Landlebens zu überzeugen, das seiner Meinung nach die einzige Möglichkeit für die bedrängten Juden darstellte, den Verfolgungen und Vertreibungen in den großen Städten zu entgehen. Lea hörte ihm lächelnd zu und antwortete, dass sie da schon eher nach Polen gehen würde, wie andere, ihr bekannte Juden es bereits getan hätten. Sie dachte dabei an ihren Onkel Esra ben Nachum, der lange darauf gehofft hatte, sein Neffe Samuel würde ihn nach Hartenburg holen. Nachdem ihm der Aufenthalt bei Ruben ben Makkabi langsam verleidet wurde, hatte er Samuel um Geld gebeten, um sich beim polnischen König Kasimir IV. das Privileg zur Ansiedlung in einer seiner Städte erkaufen zu können. Der Ort hieß, wenn Lea sich richtig erinnerte, Rzeszów. In den letzten Monaten hatte auch sie schon mit dem Gedanken gespielt, ebenfalls einen Schutzbrief des Polenkönigs zu erwerben und sich im Osten anzusiedeln.
»Du bist gut«, sagte Gideon kopfschüttelnd. »Der Pole schenkt einem nichts, sondern will blanke Gulden für das Wohnrecht in seinem Land sehen. Und selbst wenn ich mir so viel Geld vom Mund absparen könnte, bliebe mir nichts, um die weite Reise zu finanzieren. Nein, Freund Samuel, ich sage dir, am besten lebt man hier bei uns als armer Mann auf dem Land. Da hat man keine Neider und trotzdem sein Auskommen.«
Lea zog die Stirn kraus. Waren ihre Landsleute, die in früheren Zeiten Kaiser und Könige mit wertvollen Waren versorgt und ihnen großzügige Kredite gewährt hatten, bereits mit so wenig zufrieden? Genügten ihnen ein Dach über dem Kopf, so windschief es auch sein mochte, und ein voller Bauch für sich und ihre Familien? Wo blieb dabei die Kultur, die sich ihr Volk in den fast anderthalbtausend Jahren in der Diaspora bewahrt hatte?
Jochanan hatte mehr Verständnis für Gideon als sie. »Unser Volk hat schon oft Zeiten der Bedrängnis erlebt und wird auch diese überstehen.«
Lea war froh, dass ihr Knecht ihr die Antwort abnahm. Sie hätte nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen, und war erleichtert, als Gideon sich kurz vor Mittag von ihnen verabschiedete. Sein Weg führte jetzt die bewaldeten Seitenschluchten der Vogesen hinauf, wo er Bauernhöfe kannte, auf denen er mit seinen Waren höchst willkommen war. Dort hatte er seinen Worten zufolge für seine Waren häufiger ein paar Heller oder sogar einen blanken Groschen erhalten als Mehl oder Eier.
Lea wünschte ihm Glück und blickte seiner hageren Gestalt nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden war. Dann wandte sie sich kopfschüttelnd ab. »So könnte ich nicht leben«, sagte sie, während sie weitergingen.
Jochanan lächelte ein wenig traurig. »Der Mensch vermag viel, wenn die Umstände es erzwingen.«
Als Knecht wusste er, mit wie wenig man zufrieden sein konnte. Lea aber, die im Wohlstand aufgewachsen war, tat sich schwer, eine andere Lebensweise zu
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