Die Goldmacherin Historischer Roman
»In Granada. Mein Vater hatte dort eine Abschrift von einem Gnom erworben.«
»Zeichen und Wunder. Der Herr ist groß«, rief Ezechiel. Dann schwieg er einen Augenblick.
Aurelia schöpfte Atem, wollte schon weiterfragen.
Ezechiel ließ die Linke auf seinen Stock sinken. »Die Ungeduld der Jugend … Nein, die Prophetissa hat nichts vergessen. Die Gojim verstehen die Geheimnisse der Zahlen nur zu wenig, das behindert euren Blick.« Er hob den rechten Zeigefinger. »Wofür steht die Dreizehn, Alchemicus?«
»Sie ist des Teufels Zahl. Die Dreizehn steht für Übermaß und zerstört die heilige Zwölf, das große Gleichgewicht.« Das hatte sie ihr Vater gelehrt.
Der Alte lachte auf und strich sich den weißen Bart. »Euer Teufel selbst hat das in Umlauf gesetzt.Wir Juden wissen noch, dass die Dreizehn die Zahl der Jahre ist, wenn die Knaben alt genug für den Großen Wandel vom Kind zum Manne sind.«
Aurelia schauderte, ahnte schon den Zusammenhang. Der Große Wandel galt bei der Prophetissa dem Gold.
»Die Dreizehn, mein Sohn, das hat euer Teufel vergessen machen wollen, die Dreizehn ist die Zahl der Vollkommenheit. Seht ihr Christen nur die zwölf um den Abendmahlstisch versammelten Jünger? Warum zählt ihr nicht Jesus hinzu …«
»… der ja mit am Tische saß!« In Aurelias Geist fügten sich die Fragen zu Antworten. »Es waren immer dreizehn beim Abendmahl versammelt.« Schmerz wallte in ihr auf und mit ihm die Tränen. Noch im Tode hatte Vater ihr die unumgängliche Zutat
als Vermächtnis hinterlassen.Warum nur konnte sie den Schleier vor der Erinnerung an seine Worte nicht zerreißen?
»Was ist Euch?« Der Alte rührte sie an der Hand. »Warum weint Ihr?«
Aurelia drängte die Trauer weg, verschloss die große Liebe ihres Vaters in ihrem Herzen. Es half nichts, sie musste Ezechiel antworten. »Ich weine aus Freude, dass ich meinem Herrn, dem Kaiser, einen großen Dienst erweisen kann.« Das war nicht einmal ganz unaufrichtig.
Ezechiel bohrte nicht weiter, sondern erhob sich. »Die Geldtruhe werden wir tarnen. Kommt, es wird ein wenig dauern und muss sehr heimlich vonstatten gehen.« Er stützte sich auf Aurelias Arm. »Ich werde Nathaniels Leuten nach Worms schreiben, dass ich Euch getroffen habe.«
Aurelia erschrak. Rahels Familie kannte sie nicht unter dem falschen Namen. »Könnt Ihr ihnen Hilfe schicken, von Heliodor mit dem rotgoldenen Bart?« Rahel begriff sicher, wenn sie den Hinweis auf Aurelias Haarfarbe hörte.
»Wenn Ihr zahlt, gewiss.«
Eine solche Gabe war Aurelia Rahel schuldig. »Ich habe noch einen kleinen Stein, den mir …«
Der Alte legte sich die Hand aufs Ohr. »Ich will gar nicht wissen, wofür euch die Hofdamen belohnen, Alchemicus.« Er kniff die Augen zusammen. »Verderbt waren die Höfe schon bei König Herodes. Das war allzeit schon so.«
Aurelia öffnete die Tür, und der Alte schlurfte voran.
Trotz der Maienluft fröstelte sie es. Was aber, wenn Rahel ihren Hinweis nicht enträtselte, wenn Nathaniels Leute zurückschrieben, dass sie keinen Heliodor kannten? Dann flöge alles auf. Wie lange brauchte wohl eine Nachricht von Neustadt bei Wien an den Rhein und zurück? Aurelia fürchtete, dass diese schneller sein könnte als ihr lieb war.
46
D rei Tage schon arbeitete Aurelia bis zur Erschöpfung im Keller der Burg. Gestern war zu ihrer Erleichterung das blaue Steinmehl aus Venedig eingetroffen. Sie schob im Laboratorium den vierstufigen Tritt vor die Mauer. Noch auf dem obersten Brett musste sie sich so strecken, dass sie ihre Schultern knacken hörte. »Mistding«, fluchte sie. Die Stange war zwar leicht und dünn, aber Aurelia hielt sie am äußersten Ende, nur so konnte sie die Holzläden hoch oben im Gewölbe erreichen. Dreimal verpasste sie mit der Spitze den unteren Rand, dann klappte die Lade endlich auf.
Sofort fühlte Aurelia den Luftzug über ihre verschwitzten Wangen streichen. Sie ließ die Stange durch ihre Hände zurückgleiten. »Auch Zephyrs Kraft will gebändigt sein«, wiederholte sie laut die Angaben der Prophetissa. Sie sprang vom Tritt herunter und stellte die Stange an die Wand neben den kleinen Tisch, wo sie sich drei Krüge Trinkwasser und Brot gerichtet hatte.
Ächzend stemmte sie die Hände in den Rücken und streckte die schmerzenden Glieder. Im alten Ägypten hatten wohl die Diener der Prophetissa das schwere Material herumgetragen. Aurelia seufzte. Sie war ihre eigene Sklavin, auch wenn sie drei davon hätte beschäftigen können. Eine
Weitere Kostenlose Bücher