Die Goldmacherin Historischer Roman
Jetzt trug auch er ein feines weißes Hemd und neue Ziegenlederhosen.
»Tritt einen Schritt vor.« Der Zunftmeister drehte sich in der Mitte des Saales um. Im Meisterhut leuchteten die frischen grünen Eichenblätter, die er sich zur Feier anstatt der üblichen Feder angesteckt hatte. »Du stehst zu meiner Rechten«, wies er Romuald an und hob den Zeigefinger. »Rede bloß nicht dazwischen.« Er zog sein rotsamtenes Wams an den Aufschlägen glatt, obwohl es gar keine Falten warf. Er schien aufgeregter zu sein als Romuald selber. Hinter ihnen verstummte das Geflüster der Gesellen. Auch das Fußgescharre hörte auf.
Der Meister hob beide Arme und stimmte das Zunftlied an: »Des Herren weise Worte preisen wir all’ Zeit, das ist der Zunft geraten …« Alle sangen aus vollen Kehlen und mit Inbrunst.
Romuald überlief eine Gänsehaut. Es war das erste Mal seit
langem, dass er nicht in das Lied mit einfiel. Es war ihm, als hülle ihn der Gesang aus den zwanzig Kehlen ein wie ein prächtiger Mantel.
»… und setzen getreulich Lettern der Wahrheit Glanz zu Wert.« Die letzte Liedzeile verhallte.
Der Zunftmeister senkte die Arme. Romualds Herz schlug schneller. Jetzt war es so weit, gleich durfte er Aurelia sehen.
Auf der gegenüberliegenden Längsseite des Saales öffneten sich die beiden Türen. Rechts trat seine Familie ein. Mutter und Schwester hatten sich in ihr bestes Wolltuch gehüllt und die grünen Faltenkleider angelegt, als ob es nie bitteren Streit gegeben hätte. Mutter trug sogar das goldene Kreuz auf der Brust und hatte die Witwenhaube aus neuem Stoff umgebunden. Seine Schwester folgte ihr, dann die reich gekleideten Vettern. Sie traten schweigend in die rechte Ecke.
Durch die linke Saaltür schritt der Alchemist Meliorus. Sein langer blauer Mantel, der mit silbernen Zeichen bestickt war, schlug aufwändige Falten. Der spitze Bart glänzte tiefschwarz. Aurelias Vater vermochte mit seinen blauen Augen so durchdringend zu schauen, dass Romuald manchmal glaubte, er könne Gedanken lesen. Doch heute blitzten sie vor Freude wie Edelsteine.
An seiner Seite kam ein Ratsherr in buntem Wams und mit Perlanhänger am Amtshut herein. Romuald entging nicht, wie seine Mutter sich die Hand an den Ausschnitt legte. Sie war genauso überrascht wie er, dass der vornehme Herr teilnahm. Meliorus würde in ihrer Achtung wachsen. Romuald hoffte, dass der hohe Besuch Mutter endlich mit seiner Brautwahl versöhnen würde.Wann kam schon ein Ratsherr zu einer Verlobung? Doch ansonsten nur, wenn zwischen den angesehensten Familien ein Bund geschlossen wurde. Romuald wechselte ungeduldig das Standbein.Vielleicht würde seine Familie ja bald zu diesem Kreis gezählt.
Sie war so schön! Romuald stand der Mund offen. Er konnte den Blick kaum von ihr wenden, wie Aurelia durch die Saaltür geradezu hereinschwebte, so vornehm wie eine Königin erschien sie ihm. Ihr rotgoldenes Haar war zum Kranz geflochten und lugte wie ein Saum unter der weißen kleinen Haube hervor. Ihr kirschrotes Kleid schimmerte wie Seide. Die üppigen Falten umspielten ihre schmale, aber wohlgerundete Gestalt so geschickt, dass Romuald den Neid seiner Freunde nur noch mehr genoss. Da war keiner, der sie nicht hätte auf ihre reinen Wangen küssen mögen.
Aurelia hielt den Blick gesenkt wie eine Bittstellerin in der Kirche. Aber Romuald war sich sicher, dass ihr nichts entging. Sie hatte die Augen überall, war schnell im Kopf, gar manches Mal hatte sie ihn mit ihrem Scharfsinn verblüfft, nur um im nächsten Augenblick wieder vergnügt und zungenfertig von den seltsamen Bräuchen im fernen Süden zu erzählen, wo man Stiere zu Tode hetzte. Oder sie spielte Possen vor, dass er sich ausschütten musste vor Lachen. Gott, was dank ich dir für mein Glück .
»So kommet zur Mitte vor die Zunftfahne zum großen Versprechen«, leitete der Zunftmeister den Schwur ein. Romuald fühlte einmal mehr die Erleichterung, die ihn erfasst hatte, als seine Mutter endlich nachgegeben hatte. Der Zunftmeister, der an seines toten Vaters statt die Entscheidung fällen durfte, hatte zwar schon zugestimmt, doch wäre es Romuald schwergefallen, wenn Aurelia nicht als Tochter zu Hause willkommen gewesen wäre.
»Meister Meliorus, seid mir gegrüßt!« Der Zunftmeister drückte Aurelias Vater die Hand.
Jetzt lächelte Mutter sogar huldvoll wie eine Adlige und neigte den Kopf vor dem Ratsherrn und sogar ein wenig vor dem Alchemisten.
»Habt Dank für den Empfang, den Ihr mir und
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