Die Goldmacherin Historischer Roman
nestelte etwas unter ihrem Gewand hervor. »Nimm dies.« Sie legte ihm ein goldgewirktes Band um den Hals, auf das eine runde Scheibe, klein wie eine Münze, aufgefädelt war. »Es ist das stärkste Schutzzeichen, das mein Vater kennt.«
Romuald hatte keine Zeit, um den seltsam gezackten Stern mit den verschlungenen Lettern genauer zu betrachten.
»Alle jetzt fort von hier«, befahl der Zunftmeister mit lauter Stimme. »Die Steinschleuder ist schon ein Jahr nicht aufgebunden gewesen, wir müssen sie in Einsatz bringen.« Er hatte ein Tuch mit der Silberkanne und den Bechern darin über die Schulter geworfen und zog Romuald weg.
Aurelia eilte an die Seite ihres Vaters, dessen Stirn in tiefen Falten lag. »Ich schütze dich«, rief Romuald ihr nach. Er stürzte den anderen Gesellen hinterher, die aus dem Zunfthaus rannten. Was er mit der Steinschleuder im Kampf vermochte, würde er tun, doch weder für den Mainzer Bischof noch für die Schriftsetzerzunft, sondern allein für seine Aurelia.
6
G ieß zwei Unzen mehr Schwefellauge zu.« Vater richtete sich auf, den linken Arm im Kreuz. Sein Gesicht schien so gelbgrün wie das Zeug im Trog. »Es wird nicht so schnell zünden wie mit dem Phosphorus, aber der ganze Vorrat ist bereits hinaufgegangen.« Vater schaute im Hof vor der Werkstatt zu den langen Leitern, die die Schmiede dort an die Mauer gestellt hatten. Aurelias Blumen waren längst zertrampelt. Oben auf der Mauer rannten die Männer schreiend umher. Zwei waren schon, mit einem Pfeil im Bauch, tot in den Kräutergarten herabgestürzt. Die Schmiedefrauen hatten ihre Männer unter großem Wehklagen davongeschafft.
Aurelia zog sich immer mehr in sich selbst zurück. Sie war schon ganz taub vom Getöse oben auf dem Wehrgang, wo die Schmiede die Landseite der Stadt verteidigten. Die ganze Nacht hindurch war das Söldnerheer Adolf von Nassaus im Fackelschein gegen die Mauern der Stadt angerannt. Aurelia war unendlich müde und hellwach zugleich, längst schon war die Stunde vergangen, in der sie hätte noch einschlafen können.
»Warum hast du die Schwefellauge eingerührt?«, fragte sie Vater. Der graugrüne Matsch im Trog sah aus wie zu stark aufgegangener Hefeteig.
»Auch wenn die Masse nur schwer zündet, die Säure brennt auf der Haut. Die Landsknechte werden ihre schweißnassen Ärmel an ihren Lederschilden abreiben. Und dann fangen sie Feuer.«
Der Matsch stank stechend nach Teufelsrauch. »Aber sie riechen den Schwefel doch vorher.«
Vater ließ kraftlos die Hände sinken. Seit dem Wehrbefehl hatte er in der Werkstatt alle erdenkliche Kriegspulver angerührt und geknetet. »Dort draußen riecht man nur noch Blut, das aus den Wunden rinnt. Der Wahn hat sie ergriffen. Höre nur das Geschrei.«
Doch Aurelias Ohren weigerten sich. Nur nicht daran denken, dass gut tausend hochgerüstete Krieger gegen die Zinnen rannten, von denen Romuald Stein für Stein mit der Schleuder herabschoss. Er war so ein leichtes Ziel auf dem Drehgestell aus Holz. »Was machen wir bloß mit dem Zeug?«
Vater stützte sich an der Wand ab. »Wenn die Schmiede das nächste Mal zum Trinken herabsteigen, kellen wir es ihnen auf Holzteller. Die sollen sie den Angreifern auf den Steigeleitern entgegenwerfen. – Gib mir Wasser.«
Aurelia langte zum Krug, den sie unter einem Korb vor Steinfall und Splittern geschützt hatte.
Spitze Frauenschreie gellten. Aurelia wollte es erst nicht glauben, doch nicht von der Stadtmauer über ihren Köpfen, sondern durch das Haus drangen die Hilferufe von der Gasse her bis zu ihnen in den Hof.
»Kind …« Vater hielt sich die Hand vor den Mund. Die Leitern wurden hinter ihm nach oben gezogen. Er stürzte zur Stadtmauer, oben fuchtelte ein Schmied, das wirre Haar rußig schwarz.
»Die Nassauer sind durchs Tor gebrochen! Bringt euch in Sicherheit bei den Gertraudis-Nonnen, dort halten wir noch die Brücke über den Graben …« Der Schmied hakte einen Verletzten unter und schleppte ihn im Wehrgang zum Gautor davon.
»Wie sollen wir bloß bis zu den Nonnen gelangen?«, rief Aurelia.
Vater nahm ihr den Krug aus der Hand und trank tiefe
Schlucke. Dann reichte er ihn ihr zurück. »Leere ihn. Wer weiß, wann wir wieder etwas trinken können.«
Dumpfe Schläge drangen vom Inneren des Hauses durch die Wand in den Hof und übertönten seine Worte fast. Vater trat an sie heran. »Wie gut, dass wir die Bücher gleich vergraben haben«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Aurelia hatte als Kind erlebt, was es
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