Die Goldmacherin Historischer Roman
große schwarze Locke auf die Stirn gerutscht wie ein Komma, ihre Lippen zuckten einmal, bevor sie sprach. »Nun, so sei es.« Sie verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Aurelia hatte nicht ganz die Wahrheit gesagt. Gestern schon hatte sie alle Gerätschaften ausgekocht. Doch mit jedem Tag, den sie im Kloster in der Apotheke verbrachte, wurde ihr bewusst, wie sehr sie Vaters Alchemistenlaboratorium vermisste und wie sehr sie der glücklichen Zeit in Mainz nachtrauerte. Sie setzte sich auf den Ruhesessel Mechthilds, zog die Knie hoch und umschlang sie. Auch wenn sie versuchte, nicht an Romuald zu denken, verging doch kaum eine Stunde, in der sie sich nicht fragte, welches Schicksal ihn wirklich ereilt hatte.
Ein silbernes Licht fiel durch die runden Fenster auf die Wand gegenüber den Vorratsurnen. Harter Frost herrschte draußen in dieser Dezembernacht.
Aurelia ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. Romuald, wo bist du? Frierst du? Aurelia schämte sich fast für die Wärme in der Apotheke, die von den Kohlestückchen unter der Destille herrührte.
Im hellen Mondlicht zeichneten sich auf der gekalkten Wand unscharfe Muster ab. Nur die beiden Halbbögen aus Sandstein warfen einen scharfen Schattenrand. Dort, wo sie sich mitten auf der Wand berührten, hatten die Baumeister einen achteckigen Stein mit einer eingemeißelten Rosenkerbe gesetzt. So stark war der Kontrast zum Putz, dass Aurelia diese Blüte aus Stein im Mondlicht fast schwarz-weiß erschien. Die letzten echten Blumen hatte ihr Romuald ins Haar gesteckt. Drei Monate, nicht länger, war das nun her – und doch erschien es ihr wie eine Ewigkeit.Aurelia erhob sich von ihrem Sessel und erklomm einen Schemel vor der freien Wand. Sie wollte die Rose berühren. Vielleicht spendete auch eine Blume aus Stein ihr ein wenig Trost.
In den Kerben hatte sich der Staub gesammelt, ein Spinnenfaden glänzte im Mondlicht auf. Aurelia streckte sich ganz lang. Als sie an die eingemeißelte Rose rührte, kippelte der Schemel.Vor Schreck hielt sie sich mit beiden Händen an der
Blüte fest und balancierte auf Zehenspitzen, da gab der Stein plötzlich nach und drehte sich unter ihren Händen. Aurelia verlor das Gleichgewicht, musste loslassen und sprang auf den Boden zurück.
Sie starrte an die Wand. Die Steinrose hatte sich wirklich gedreht.
Schnell rückte Aurelia den Schemel in einen festen Stand zurecht. Sie erklomm ihn und griff vorsichtig nach der Rose. Langsam knirschte Sandstein auf Sandstein, dann fiel ihr die Blüte schwer in die Hand. Aurelia legte sie rasch neben ihren Füßen ab, weil ein rundes Loch in der Wand ein Fach verriet. Spärlich erhellte das Mondlicht nur dessen Rand und so tastete Aurelia vorsichtig hinein. Sie fühlte trockene Sandkrümel und Staub unter ihren Fingerspitzen – und einen eckigen Gegenstand. Er fühlte sich an wie altes Leder. Sorgsam zog sie ihn durch die schmale Rundöffnung in der Wand und stieg vom Schemel.
Am Studierpodest neben der Destille zündete sie ein Talglicht an.
Ein weinroter Pergamentband lag vor ihr. Das Stück Leder musste sehr alt sein, so ausgetrocknet war es; an den Falten zeigten sich Risse und vertrocknete Flecken alten Schimmels. Vorsichtig schlug Aurelia den Rand um, der leise knirschte.
Auf der ersten Seite stand in verblasster Schrift aus Schwarzgallentinte: Practica alchimica.
Aurelia stützte sich mit den Händen rechts und links neben dem Ledereinband ab. Ihr Herz pochte bis zum Hals.Wenn sie nicht alles täuschte, dann …
Sie blätterte vorsichtig weiter. Das erste Kapitel über die Schwarzerden, natürlich, das zweite handelte von den Halbstoffen. Sie wandte mit trockener Kehle die nächsten Pergamentseiten um. Ein Kapitel über das richtige Maß würde nun folgen.
Gefehlt. Vom richtigen Falschen und falschen Richtigen hieß das nächste Kapitel. Vater hatte wieder einmal Recht behalten. Sein wertvollstes Buch, das er von dem Gnom in Granada erhalten hatte, war nicht vollständig gewesen. Kapitel fehlten und auch Seiten, oft mit den schwierigsten Werken. Aurelia presste die Hände auf die Augen, so heftig war der Schmerz, der in ihr bohrte.Was würde Vater dafür gegeben haben, hätte er diesen Band studieren und danach seine alchemischen Werke ansetzen können! Sie blinzelte ins Mondlicht, um die Tränen zurückzuhalten, doch sie liefen schon.
Schließlich konnte sie weiterlesen. Ein Taumel erfasste sie. Dieser Tractatus über die Alchemistenkunst stammte von niemandem
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