Die Goldmacherin Historischer Roman
warst du das? Tritt vor!«
Sie erschauderte unter der harten Stimme. Die Nonnen und Laienschwestern vor ihr machten schon eine schmale Gasse frei.
Vor der Äbtissin verneigte sich Aurelia tief, dann stellte sie sich an das vordere Bett. Oh Gott, auf Mechthilds Stirn standen schon Schweißperlen.
»Warum stellst du dich meinem Wort entgegen?« Enhardis wies mit gestrecktem Mittel- und Zeigefinger vor sich auf die Stelle vor ihren Füßen.
Wenn Aurelia nicht alles verspielen wollte, wenn sie den Nonnen helfen wollte, dann musste sie vor dieser rangbewussten Frau in die Knie gehen. Sie beugte das Bein. »Es sind keine Widerworte, Äbtissin. Es ist nur die Sorge um das Leben meiner Mitschwestern, die mich treibt.«
»Ach ja? Du weißt also besser was hilft als unsere arme Mechthild, die schon seit vielen Jahren Menschen heilt?«
»Seht euch die Hoffärtige an.« Die Nonne Senta blickte über ihre Schulter zu Aurelia herab. »Selbst jetzt noch zeigt sie ihr rotgolden Haar, in einer solchen Stunde. Hört nicht auf sie, Äbtissin. Sie ist nichts weiter als ein hergelaufenes Straßenluder.«
Trotz der Wärme im geheizten Dormitorium schien es
Aurelia, als erstarrten die Frauen um sie herum wie Wasser unter Frost.
Enhardis maß Senta mit einem seltsam langen Blick. Dann wandte sie sich Aurelia zu. »Sprich, was treibt dich zu solch Hochmut?«
Die Heiligen würden ihr die Notlüge verzeihen; sie musste verheimlichen, woher sie wirklich von der Krankheit wusste. »Mein Vater war Apotheker zu Mainz. Vor drei Jahren gab es gehäuft Kranke in der Stadt, deren Haut so grünlichbraun schimmerte. Kein gewöhnliches Fieber wütete. Da war etwas im Essen gewesen, das ihr Blut verdorben hat. Kein Trank, keine Salbe halfen. Nur starke Brechmittel und ein Sud aus Morgenthau, Liebfrauenkraut und Amamelisblättern, in gleichen Teilen.« Dass Vater den Sud Allgegengift genannt hatte, behielt sie lieber für sich.
Die Luft schien zu zerspringen, so still war es im Dormitorium. Dann durchschnitt Enhardis’ Stimme das Schweigen. »Etwas im Essen, sagst du?«
»Sie macht sich wichtig.Wir essen alle aus derselben Küche, wie …«
»Still, Senta.« Die Äbtissin kniete schon an Mechthilds Bett nieder. Die kranke Nonne regte sich. »Ja?« Enhardis tupfte ihr mit einem Kissenzipfel den Mund ab.
»Liebfrauenkr … vielleicht …«, Mechthild atmete schwer, »… höre auf sie, sie weiß …« Ihre Sinne schwanden wieder, ihr Kopf fiel ins Kissen.
Gertrude trat vor, eine alte, halbseitig lahme Laienschwester aus der Küche. »Verzeiht, Äbtissin. Was die junge Aspirantin sagt, könnte wahr sein. Bevor sie krank wurden, war gerade die Zehntlieferung von unserem Gut in Hillesheim eingetroffen.«
Die Nonnen schauten einander an. Einige nickten.
»Sprich weiter, Gertrude.«
»Das Entenfleisch war in kleine Töpfchen eingekocht,
mundgerecht für jede Stiftsfrau. Wenn einige davon schlecht waren …«
Aurelia sah, wie sich die Hand von Senta in eine Falte des Überwurfs krallte.
Der lahme Arm der Laienschwester Gertrude zitterte, so groß war ihre Angst, etwas Falsches gesagt zu haben. »Wir haben nichts Schlechtes in unserer Küche eingekocht, das schwöre ich.«
Enhardis’ Blick glitt über die sieben leidenden Nonnen auf den Betten. Sie rieb sich über die Stirn. »Gott ist mein Zeuge, dass ich nur das Beste will.Wagen wir es.«
Einigen Nonnen entfuhr ein Atemzug. Einige bekreuzigten sich.
Auf Enhardis’ Zeichen stand Aurelia auf.
»Du begibst dich sofort in die Klosterapotheke, Konventregel hin oder her, und setzt den Sud an«, befahl die Äbtissin. »Aber nur unter meiner Aufsicht.«
Aurelia konnte nur hoffen, dass sie in Mechthilds Büchern nachlesen konnte, in welcher Weise man aus dem bröseligen Morgenthau und dem strohigen Liebfrauenkraut einen Brechsud bereitete.
Die Äbtissin ging schon auf den Gang mit den Privatzellen zu, die Frauen machten ihr Platz. Da wandte sie sich noch einmal zu den Versammelten um. »Ihr anderen betet ohne Unterlass den Rosenkranz bis Mitternacht.«
14
S eit gut einer Woche stand Aurelia nun bis nachts in Mechthilds Apotheke im Nordflügel des Klosters. Äbtissin Enhardis ließ sie inzwischen ohne Aufsicht arbeiten. Der hohe Raum war nur einen einzigen Jochbogen breit und einen Langbogen tief, aber aus schön geglätteten Sandsteinen gemauert. Er wurde von zwei kleinen runden Fenstern an der Stirnseite erhellt. Die Längsseite zum Hof hin nahm das hohe Schaff mit den Vorratsurnen ein, die
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