Die Goldmacherin Historischer Roman
Haar gibst«, bot Leonor an. An ihr war alles rund, die dunklen Augen, die Wangen, die Hüften. Sie war die sechste Tochter eines Ritters hinter dem Wald am Donnersberg.
Aurelia verschluckte sich fast. »Wofür?«
»Meine Novizenführerin Senta hat gesagt, dass wir damit die Goldfäden strecken könnten, die wir in die Paramente für den Bischof von Speyer sticken«, sagte Leonor.
Aurelia verstand wenig von Nadelwerk. »Wie soll das gehen?«
Die Novizin wischte sich mit den Fingern Fettkrümel vom runden Kinn. »Sonst dreht man zwei Goldfäden mit zwei aus Leinen zu Goldzwirn. Ersetzen wir einen mit drei von deinen Haaren, reicht der Goldfaden doppelt so lang.«
»Senta meint, dann würde das Gold nur ein wenig wie Rotgold schimmern, das würde keiner merken.« Quirna brach mit ihren langen Fingern den zweiten Krapfen an und tupfte die herauslaufende Nussfüllung aus dem Zinnteller auf.
Aurelia wollte sich lieber nicht mit der Novizinnen-Meisterin anlegen. Seit sie Mechthilds Helferin geworden war, prüfte Senta oft ohne Vorankündigung, ob Aurelia alle laut Ordensregel vorgeschriebenen Arbeitsunterbrechungen für das Gebet einhielt. Selbst im Armarium tauchte sie auf, wo Aurelia mit Mechthild die Bücher des Klosters in Ordnung hielt. Zwischen
den Schriftrollen über den idealen Klostergarten, die im Winter sicher niemand herausziehen würde, hatte sie das Buch von Maria Prophetissa versteckt. »Ich weiß nicht. Ich werde lieber die Äbtissin fragen, ob ich mein Haar euch zum Zwirnen überhaupt geben darf.« Gerade jetzt wollte Aurelia jeden Eindruck vermeiden, sie achte nicht auf die Ordensregel.Von den dreihundertdreiunddreißig Rezepturen des Tractatus konnte sie erst vierundzwanzig auswendig – noch vergaß sie die eine oder andere Ingredienz, wenn sie ihr Gedächtnis am Text überprüfte.
»Frage ruhig. Sie sagt bestimmt Ja.« Quirna wischte ein Nussbröckchen von der Lippe. »Wenn es ums Sparen und Verdienen geht, ist Enhardis alles recht.«
»Wie sonst könnten wir der Mutter Gottes den Perlenumhang fertignähen, wenn wir nicht die Fäden strecken?«, sagte Leonor.
Mechthild hatte geseufzt, dass die Mutter Gottes vielleicht weniger frieren würde als die Armen draußen in den Dörfern, die in diesem Winter keine Mäntel vom Kloster geschenkt bekamen. »Eure Stickerei wird bestimmt sehr schön«, sagte Aurelia. Die Pracht des Mantels, an dem sie arbeiteten, war eher eines Domes als einer kleinen Klosterkirche würdig. Sie schluckte den letzten Bissen ihres Krapfens.
Quirna hob die schmale Nase. »Ich habe die rosa Perlen auf dem Stoff verteilen dürfen.«
»Ich durfte sie aber dafür annähen«, sagte Leonor.Vor Stolz schien ihr Gesicht regelrecht aufzuquellen. »Bald gibt’s noch mehr Perlen«, fügte sie hinzu.
»Wer sagt das?« Quirna schaute schnell, ob die Laienschwestern am nächsten Tisch lange Ohren machten.Aber dort priesen sie nur wortreich Küchenschwester Gertrudes Backkunst. »Sag schon«, drängelte Quirna.
»Senta hat es mit der Äbtissin besprochen, drüben in der
Spinnstube. Sie haben nicht gemerkt, dass ich hinter dem Wäschekasten die Altartücher gefaltet habe«, sagte Leonor und betrachtete Aurelia, die die Stirn in Falten legte. »Ich sehe es dir an, Goldhaar. Du weißt es also noch gar nicht!« Sie klatschte beinahe in die Hände, ließ die Finger aber doch in der Luft schweben. Ihre runden Augen strahlten.
Aurelia legte sich vor Schreck unter dem Tisch die Hand auf den Magen: Senta heckte also wieder etwas aus. »Was weiß ich noch nicht?«, fragte sie besorgt.
Bevor eine der beiden Novizinnen etwas erwidern konnte, stand Enhardis vom Refektoriumstisch auf. » Cena finita est «, verkündete sie. Klar, streng und laut hallten ihre Worte durch den Raum. Der Blick der Äbtissin schweifte über ihre Nonnen.
Aurelia würde Mechthild erst fragen können, was Senta und Enhardis schon wieder ausheckten, wenn sie morgen in der Apotheke die Nussessenzen ansetzten. Denn nun herrschte wie an jedem Feiertag das Schweigegebot bis zur Nachtmesse. Vielleicht wusste die Apotheker-Nonne ja auch schon mehr.
Die Sitzbänke knarrten, Schritte klangen unter den hohen Spitzbögen der Refektoriumsdecke. Keine der Nonnen verlor mehr ein Wort.
Aurelia nahm den leeren, fettigen Zinnteller und trug ihn zum Geschirrkorb, den die dicke Walli gerade vor sich auf die Fliesen an der Pforte zum Kreuzgang stellte.
Manche Nonnen mochten nun in der Heiligen Schrift den Rest des Tageslichtes verlesen,
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