Die Goldmacherin Historischer Roman
gewohnt.
Das Kloster Rosenthal war der Mutter Gottes geweiht. Aurelia hörte die Marien-Gesänge der Nonnen aus dem Dormitorium. … Bitte für uns, heilige Gottesmutter, dass wir würdig werden der Verheißungen Christi …
Nach einem langen Gang, an dem links und rechts hinter Holztüren die Privatzellen der Nonnen lagen, betrat sie den
Schlafsaal. An der Decke verliefen zwei hohe Bögen wie in einem Kirchenschiff, acht Joche überspannten den Saal. An dessen Stirnseite hatten die Nonnen einen großen Kreis gebildet und sangen.
»… wir verehren diese Geheimnisse im heiligen Rosenkranz der seligen Jungfrau Maria … «
Die letzte Laienschwester wandte sich um. »Tretet ihr nach links, bildet einen Kreis hinter uns.«
Aurelia hielt sich lieber an der gekalkten Wand bei den Fenstern und ließ allen anderen den Vortritt. Eine Lectio war ein seltenes Ereignis, deshalb achtete jede auf ihren Rang und Platz. Da verhielten sich die Mägde des Klostergesindes zueinander nicht anders als die Zunftfrauen in Mainz. Aurelia verscheuchte den Gedanken an Romualds Mutter, deren wutverzerrtes Gesicht sie immer noch bis in die Träume verfolgte.
Sie stieß an einen Stein, der unter dem Fenster etwas aus der Mauer vorragte. Aurelia wagte es und stellte einen Fuß darauf und schob sich vorsichtig hoch. So konnte sie knapp über die Köpfe der gut fünfzig versammelten Frauen blicken.
An der Stirnseite des Dormitoriums hing ein Holzkreuz mit dem Heiland. Darunter lagerten auf sieben Betten die kranken Nonnen, die eine oder andere warf stöhnend im Fieberwahn den Kopf in den Kissen hin und her.
»… lass uns nachahmen, was sie enthalten, und erlangen, was sie verheißen. Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen. «
Die Äbtissin Enhardis stand genau unter dem Kreuz zwischen den sieben Betten. Sie hatte ihre schwarzen Locken unter der Kapuze der Tracht versteckt, nicht einmal das goldene Amtskreuz hatte sie umgelegt.
Wie ein Priester hob sie die Hände. »Der Herr hat unsere Schwestern mit einer schweren Krankheit geschlagen. Beten wir, jede Einzelne von uns, still um Heilung.« Sie ließ die Arme sinken und schaute jede Nonne, jede Laienschwester und alle
Frauen des Gesindes an, auch Aurelia. Aber diesmal drang der Blick der Äbtissin nicht streng in sie, sondern erschien Aurelia seltsam verhangen, wie in eine andere Welt versunken.
Die Perlen der Rosenkränze klickten leise in den Händen der Frauen. Ohne ein weiteres Wort vereinten sich alle im Gemurmel des Gebets.
Aurelia ließ die hölzernen Röschen in ihren wunden Fingern kreisen. Die liebe Schwester Mechthild, die dort mit dem Tod kämpfte, hatte ihr den Rosenkranz selbst geschenkt. Ihr Blick wanderte so langsam wie die geflüsterten Worte von Krankenbett zu Krankenbett. Im Sog der heiligen Formeln tauchten Erinnerungen in Aurelia auf, erst noch ganz fern und unkenntlich, wie eine Forelle, die zu tief im Bach schwimmt und der Angel entkommt. Sie kannte diese Krankheit doch, hatte schon einmal Menschen daran sterben sehen. Menschen, die diese seltsame Gesichtsfarbe gehabt hatten. Von Rose zu Rose im Kranz trat das Bild näher.Wann war es genau gewesen? Aurelia schloss die Augen und gab sich ganz den Erinnerungen hin.
Sie war wieder ein Mädchen, gerade nach Marseille gekommen, da hatte sie einen Monat nicht draußen spielen dürfen, obwohl es sehr heiß gewesen war. Eine Krankheit wütete im Viertel. Sie durfte nur Saft und Milch trinken, weil …
Aurelia öffnete die Augen.Weil das Brunnenwasser im Viertel vergiftet gewesen war! Vater hatte es ihr Jahre später erzählt. Die Marseiller hatten einen verwesten Hund aus dem Brunnen gefischt. Verkommenes, verschimmeltes Fleisch war ein übleres Gift als manche Metallerde. Stand das nicht sogar in Vaters großem Buch?
Aurelia schaute sich die schweißgebadeten Gesichter der fiebrigen Nonnen genau an. Kein Zweifel, es war derselbe grünlichbraune Schimmer unter der Haut wie damals in Marseille.
Aurelia zuckte zusammen. Das lastende Schweigen am Ende der Gebete war unheimlich.
Die Äbtissin blickte lange auf den Rosenkranz in ihrer Hand. Dann hob sie den Kopf. »Nur der Herr kann sie retten. Bringt ihnen Speise …«
Das wäre ihr Tod. Aurelia ballte die Fäuste und atmete noch einmal tief ein. Jetzt, sonst war es zu spät. »Besser nicht«, rief sie. »Sie dürfen überhaupt nichts essen.«
»Was erdreistet sie sich!«, sagte eine der Nonnen laut.
Enhardis riss die Augen vor Empörung auf. »Aurelia,
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