Die Goldmacherin Historischer Roman
doch Aurelia würde sich ihrer besonderen Alchemia-Bibel im Armarium widmen. Allzu viele der Geheimnisse von Maria Prophetissa hatte sie noch nicht enträtseln können. Ohne Vaters Hilfe war manche Anweisung der Großen Alchemistin unverständlich. Seit Tagen zerbrach sich Aurelia den Kopf, was wohl der Unterschied zwischen sulphur croceum und sulphur crocotum sein mochte, wo beides
doch safrangelber Schwefel hieß, aber in verschiedenen Mengen zueinandergefügt werden sollte.
Aurelia fielen Flocken aufs Gesicht, als sie den Klosterhof zum Armarium hin überquerte. Unter ihren Füßen knirschte die weiße Pracht, so als flüstere der Schnee ihr die Lösung zu. War es so einfach? Aurelia konnte ein leises Lachen trotz Schweigegebot nicht unterdrücken. Mit dem einen war einfach Schwefelpulver gemeint und mit dem anderen Schwefelgriesel.
16
A m Dreikönigstag 1463 blendete selbst noch die Nachmittagssonne die vielen Bittsteller im Klosterhof, so hoch lag das frische Weiß auf den Dächern.
Aurelia wurde einmal mehr bewusst, welchem Schicksal sie entronnen war, als sie vor zwei Monaten hier Unterschlupf gefunden hatte. Die Gesichter der Bettler waren vom Hunger ausgezehrt, viele waren von Schwären auf den Wangen gezeichnet. Der strenge Frost der Jahreswende hatte ihnen die Haut aufplatzen lassen. Ihre Wolltücher flatterten mit gerissenen Säumen im Wind, fast alle hatten entzündete Augen und laufende Nasen. Im Hof scharte sich das Bettelvolk um Männer, die Holzstangen oder auch nur Äste als die Zepter der Heiligen Drei Könige führten.
Aurelia hielt den Leinensack auf, während Quirna die letzten Königskuchen verteilte, die zum Feiertag gebacken worden waren. Sie schritten die Wartenden entlang, die mit von der Kälte steifen Fingern die schmalen Backstücke in Empfang nahmen.
Die drei Nonnen glichen wirklich einem Dreigestirn.Aurelia beobachtete die Äbtissin und ihre ewigen Begleiterinnen, die Nonnen Senta und Ruth, aus den Augenwinkeln. Sie waren vors Torhaus gekommen. Enhardis hielt sich den Kaninchenfellmantel am Kragen zu. Die beiden anderen verteilten ein paar Kupferpfennige an die erbarmungswürdigen Könige, während deren Gefolge leer ausging.
»Geht nun, Leute!«, rief die Äbtissin. »Wir schließen die Tore.«
Zwei von den Dienstmännern, die sie bei Schnee kaum auf die Felder oder in den Wald schicken konnte, liefen herbei und hielten sich dabei die Fellmützen auf dem Kopf fest.
Quirna rieb sich die Krümel vom Kuchen von den Fingerspitzen und behauchte ihre Hände. »Kieselchen als Weihrauch, ein gelber Stein als Gold, irgendein Strunk als Myrrhe, das einem Bündel gereicht wird. Und ein Strohballen als Jesuskind. Noch so ein gestottertes Krippenspiel hätte ich nicht ertragen.«
Dabei hatte Quirna in der Küche die Kuchen schneiden helfen dürfen, während Aurelia von Anfang an die dünnen Gesänge der brechenden Stimmen hatte anhören müssen. »Was sollen die armen Leute denn machen, mitten im Winter?«, sagte sie leise.
An dem hohen Festtag gab es wenigstens ein paar Almosen, das half den Notleidenden wieder ein, zwei Wochen weiter. Der Heischebrauch am Königstag war schon sehr alt – vielleicht noch viel älter, als Aurelia bislang angenommen hatte. Aus ihrem geheimen Buch der Maria Prophetissa aus Alexandria hatte sie zu ihrer Verwunderung beim Kapitel zu Duftgewinnung erfahren, dass bereits im alten Ägypten am 6. Januar das Fest des Gottes Äon gefeiert worden war, bei dem feierlich Wasser aus dem Nil geschöpft wurde.
Quirna rollte mit den Augen. »Ach, du wieder.« Sie riss Aurelia den leeren Leinensack aus den Händen. »Der muss zurück in die Küche.« Sie stapfte durch den Schnee zum Westflügel.
Aurelia ging an den beiden Dienstmännern am Tor vorbei. Dem einen fiel die Fellmütze vom Kopf, als sie mit vereinten Kräften den großen Querriegel vor die festen Bohlen zerrten.
»Besser ist’s wieder zu«, keuchte der eine. »Der Nassauer Herzog soll mit seinen Knechten schon wieder in der Pfalz unterwegs sein.«
Aurelia erschauderte bei dem Namen des Mannes, dessen Heer ihr Hab und Gut in Mainz zerstört und ihr den Vater und Bräutigam geraubt hatte.
Der andere Dienstmann schaffte derweil aus einer Nische im Torhaus zwei armdicke Querstreben herbei. »Was schwätzt du, Gerolf? Bei Schnee und Eis zieht das Heer doch nicht herum.«
Aurelia hob die Mütze auf, blieb damit stehen und hörte dem Gespräch zu.
»Aber bei Sonnenwetter vertreiben sich die Reiter die
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