Die Goldmacherin Historischer Roman
Geringerem als der Begründerin der Alchemia selbst, von Maria Prophetissa, der Jüdin aus Alexandria.
Aurelia blickte hoch zu der leeren Öffnung in der Wand. Der viele Staub, das geborstene Leder … Sie war sich sicher, dass dieses Buch keines von Mechthilds Geheimnissen war. Die Nonnen wussten nichts von diesem Schatz, den eine wer weiß wie alte Linie wohl weiser Frauen bis in dieses Kloster gerettet hatte.
Sie musste alles lesen, verstehen und studieren. Sie musste Vaters offene Fragen beantworten, für ihn und für sich. Ihre Finger strichen über die Seiten, der Tractatus war fast noch einmal so dick wie die Abschrift des Gnoms.
Aurelia erschauderte vor den Geheimnissen der Wandlungen, die sie nun durchdringen würde.Alchemie war die irdische Schwester der Magie, aber nicht weniger gefährlich für Leib und Seele.
Sie hörte die Klosterglocke Mitternacht schlagen. Die Nonnen! Sie durften sie nicht damit entdecken, denn sie würden ihr den Band gewiss wegnehmen. Aurelia wickelte eilig das alte Leder um das Pergament. Sie biss sich auf die Fingerknöchel. Wohin nur damit? Sie schlief auf Stroh im Gesindehaus
und hatte kein eigenes Schaff oder eine Truhe, schon gar kein Schloss für solch einen Schatz.
Mochte die Steinrose ihn weiter verbergen. Aurelia stieg wieder auf den Schemel und legte das Buch in das Mauerfach zurück. Mit großer Vorsicht, damit es nicht zu laut im Mauerwerk knirschte, fügte sie die steinerne Blüte zurück in die Wand.
Im Kreuzgang kehrten die Nonnen von der Kirche zurück ins Dormitorium. Aurelia betete, dass die Äbtissin nicht mehr in die Apotheke hereinschaute. Sie hatte nicht einmal Wasser zum Auskochen aufgesetzt.
Aurelia kauerte sich auf den Ruhesessel Mechthilds, sie würde so tun, als sei sie vor Erschöpfung eingenickt. Doch die Schritte draußen verhallten, der Frost der Dezembernacht trieb alle rasch ins geheizte Haus.
Aurelia betrachtete die Rosenkerbe unter den Bögen an der Wand. Allzu oft konnte sie diese nicht auf- und zudrehen, ohne dass sich Spuren am Stein einschliffen. Sie musste ein anderes Versteck finden, bis sie jede Seite, Wort für Wort, auswendig gelernt hatte.
Aurelia huschte hinaus in den Kreuzgang. Die bittere Kälte machte ihr nichts aus, sie fühlte sich noch immer wie von Zauberhand berührt. Viele alchemistische Fragen auf einmal kreisten hinter ihrer Stirn. Auf dem Stroh ihres Lagers im Gesindehaus würde sie so bald keinen Schlaf finden.
15
H inter dem Tisch der Äbtissin schmückte ein Stickteppich mit dem Jesuskind auf den Knien Mariens die Wand. Ein Kranz aus Silberfäden umstrahlte im Stoff sein Köpfchen. Aurelia roch die Krapfen schon, bevor sie aufgetragen wurden. Weihnachten war der erste Feiertag im Refektorium, seit sie am Novizinnen-Tisch in der letzten Reihe hatte Platz nehmen dürfen. Die endlich genesene Mechthild hatte sich bei der Äbtissin dafür eingesetzt – und Aurelia hatte tapfer verschwiegen, dass sie nicht als Nonne der Welt entsagen wollte. Aber die Freude im Kloster über die wundersame Heilung war so groß gewesen, dass sich Enhardis über die Ordensregeln hinweggesetzt hatte. Sonst musste eine Novizin mindestens ein Jahr im Gesindehaus wohnen, bevor sie am Tisch der Novizinnen sitzen durfte.
Die dicke Walli hatte Tafeldienst. »Hier fünf Krapfen für euch.« Sie stellte die Zinnschale auf das saubere Tuch und ging mit dem reicher belegten Tablett weiter zur Bank der Laienschwestern.
»Wir sind zu dritt. Da kann eine von uns nur einen haben.« Quirna von Asselheim langte mit ihren dünnen Fingern schon kräftig zu. Sie aß wohl viel Honigkram, sonst hätte sie nicht so manchen Pickel an der Stirn. Ihre Mitgift hatte den Nonnen einen Hang mit Nussbäumen und einen Teich voller Hechte eingebracht.
Alles ging im Kloster immer nach Rang und bestimmte sich nach der Länge der Mitgliedschaft, deshalb würde Aurelia verzichten. »Einer reicht mir.« Sie biss in den knusprigen Teig.
Kaum schmeckte ihre Zunge die süße Honignussfüllung, versetzte sie der Duft zurück nach Mainz in die Stube Rahels. Auch deren Leute buken solch köstliche Krapfen im Winter, wenn auch nicht als Erinnerung an die Geburt des Heilands.
Walli hatte alle Tische reihum bedient. Nun schaffte sie mit zwei anderen Frauen Milchkrüge herbei und schenkte der Äbtissin am Mitteltisch ein. Niemand hörte der Lesung aus der Ordensregel zu, die die alte Nonne Ortrud mit schwacher Stimme murmelte.
»Iss zwei, wenn du mir eine Strähne von deinem
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