Die Goldmacherin Historischer Roman
der geweißelten Wand. »Eine außerordentlich große Zaubermacht, nicht wahr? Je früher die Hexe gestraft wird, desto besser.«
»Wer weiß, welcher Frevel der Teufelin sonst noch gelingt«, stimmte Enhardis zu.
»Das wüsste mancher gern …«, murmelte der Bischof. Enhardis hob die Braue, aber er sprach schon weiter: »Seid ohne Sorge. So weit wird es nicht kommen.«
Der grauhaarige Kerkerknecht verbeugte sich tief am Türpfosten.
»Was störst du uns?«, herrschte ihn der Bischof an.
»Das hier haben wir beim Henker gefunden.« Er hielt Aurelias Brief in der Hand, was ihr einen Seufzer entriss. »Der Schreiber sagt, die Hexe habe es verfasst, Ihr müsset es sofort sehen.«
Der Bischof riss ihm Aurelias Pergament aus der Hand. Der Knecht ging rückwärts aus dem Kerker. Aurelia verließ die letzte Kraft. Der Henker hatte den Brief also gestern nicht fortgeschafft. Sie sackte in sich zusammen, nur die hochgestreckten Arme an den Ringen hielten sie aufrecht. Romuald würde nie erfahren, wie sehr sie ihn geliebt hatte und welche Leiden sie hatte erdulden müssen.
Die blauen Augen des Bischofs flogen über ihre Zeilen. Sein voller Mund zuckte. Zweimal traf sie ein forschender Blick, streifte ihre Brüste, ihr Gesicht. Sogar seine Zungenspitze fuhr an der Oberlippe entlang, als er lange schwieg.
»Was verschlägt Euch die Sprache? Hat sie dem Teufel darin gebeichtet?« Die Äbtissin wollte nach dem Pergament greifen, aber der Bischof erwachte aus seinem versunkenen Zustand. »Das erspart Euch lieber, Enhardis. Ihr seid eine züchtige Frau von hohem Stand.« Der Bischof schenkte der Äbtissin das gewinnende Lächeln eines Seidenhändlers. »Es mag genügen, dass sie eine durchtriebene Teufelshure ist.«
Aurelias Hände fanden Halt an den Ketten, sie zog sich aufrecht. Log der Bischof, weil er vielleicht am Ende Romualds Herrn, dem Grafen Spanheim, weniger Feind war, als die Äbtissin glaubte?
»Wir hätten es wissen müssen.« Enhardis musterte Aurelia noch einmal von Kopf bis Fuß.
»So ist die Hexe endgültig zum baldigen Tode verdammt«, sagte der Bischof.
»Ertränkt sie im Rhein mit einer Hexenprobe«, sagte Enhardis kalt.
»Nein.« Der Bischof winkte so heftig ab, dass die Spitzenaufschläge seiner Ärmel flogen. »Am Ende gewinnt sie diese gar.« Er legte nachdenklich den Zeigefinger an die Lippen. »Bedenkt, eine Hexe, die einem erfahrenen Henker aus dem Verlies entrinnt, hat es in Speyer noch nie gegeben. Und auch
sonst nirgends. In welcher Weise die Zauberin sterben soll, müssen wir noch beraten.« Er schob Enhardis an der Schulter zur Tür. »Wir haben schon viel zu viel Zeit in diesem Abgrund hier verbracht.«
Die bestickten Mantelsäume der beiden rutschten über die Schwelle, an der Tür aber warf der Bischof noch einmal einen frechen Blick zurück wie ein Verehrer, der wiederkommen wollte.
Aurelia gab nichts auf diese hinterhältige Täuschung des Spiegelfechters. »Allergnädigster Gott«, flüsterte sie und ließ jede Hoffnung fahren.
23
K aum hatte sich das Tor des Bischofspalastes einen Spalt geöffnet, rumpelte der Karren schon über die Hofsteine hinaus. Mit jedem Schwanken schnitt das dicke Hanfseil Aurelia in die Handgelenke und in die Brust. Die Astnabe des groben Schandbretts, an das die Henkersknechte sie im Morgengrauen gebunden hatten, stach ihr in den Rücken. Ihre bloßen Füße fühlte sie längst nicht mehr, nichts als ein fadenscheiniges Büßergewand hatte man ihr gelassen. Sie hatte vergessen, wie lange sie dem Wind und den Schmähungen der Knechte im Hof ausgesetzt gewesen war. Stunden, Tage bedeuteten nichts mehr, die Ewigkeit warf schon Schatten über sie.
Gleich hinter dem Torbogen empfing Aurelia das ohrenbetäubende Geschrei einer tausendköpfigen Meute.
»Die Hexe kommt! – Seht, ihr Haar glüht wie Höllenschein! – Schaut ihr nicht in die Augen, sonst nimmt sie eure Seele mit hinab. – Da, du Kindsmörderin!«
Unflat traf den Schandkarren, verfehlte ihre Füße nur wenig. Aurelia sah über die einfachen Leute hinweg, die den Kirchgang versäumt hatten, nur um sich als Erste in vorderster Reihe an ihrem Leid zu ergötzen.
Aurelia vermochte ihren Kopf nicht zu wenden, weil er über der Stirn mit einem Lederband ans Brett gebunden war. Für jeden guten Werfer gab sie ein leichtes Ziel ab. Die ersten faulen Eier flogen.
»Keine Steine, Leute, sonst ist die Hex’ schon vor dem Feuer tot«, schrie einer.
Die breite Gasse führte an Bürgerhäusern
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