Die Goldmacherin Historischer Roman
Regen hinaustrieb. Der Leib jedoch war der eines Bären, die Hände sehr kräftig, aber so sauber und glatt wie die eines Schneiders. Die rote Kutte wiederum übersäten Flecken; Aurelia hatte den Blick abwenden müssen.
Der Henker war der letzte Mensch gewesen, dessen sie ansichtig
geworden war. Nur ab und zu reichte er ihr mit seinen seltsam kräftigen wie sauberen Händen Essen herein, Wasser, Brot, einmal eine Käserinde und einen Apfel. Und letzte Woche waren nach dem Essen Pelzschuhe und ein Bündel hereingeworfen worden.
»Danke dir, Susanne«, flüsterte Aurelia ins Dunkel.
Sie hatte es an der Webarbeit erkannt, den feinen, gekettelten Saum gefühlt, wie ihn die Rosenthaler Nonnen stichelten. Nur Susanne und vielleicht auch Pereldis verfügten über Geld, Verwandtschaft und Mut genug, den Henker in Speyer bestechen zu lassen.
So fror Aurelia seither nicht mehr so entsetzlich. Sie hatte Rosenkränze gebetet, wie sie es bei den Nonnen gelernt hatte. Wie viele leere Stunden sie hier nachgesonnen hatte, wusste sie nicht mehr. Strafte sie der Herr dafür, dass sie das Kloster mit den Mitteln der Alchemie hatte verteidigen wollen? Aber hatte sie nicht manche Nonne so davor gerettet, die gelobte Jungfräulichkeit zu verlieren?
Vor ein paar Tagen war es schließlich still in ihrer Seele geworden. Aurelia wusste sich mit sich im Reinen. Käme sie noch einmal in eine solche Lage, würde sie sich wieder wehren. Sie wünschte sich bloß, dass Romuald den Einflüsterungen des üblen Grafen entrann.Warum nur war er nicht längst wieder bei der Zunft in Mainz, wo man jede Hand für den Wiederaufbau brauchte?
Ein Riegel rutschte schwer auf der Bohlentür. Aurelia wandte den Kopf. War es schon wieder Zeit für Essen? Ein Lichtstrahl fiel durch die kniehohe Luke in der Tür herein auf ihr Gesicht, so dass es sie blendete. Die saubere Hand des Henkers reichte ihr einen Teller mit Kräuterbrot und Käserinde herein. »Nimm«, sagte er wie halb erstickt. Es musste an der Tür liegen, die kaum einen Laut hereindringen ließ, dass sie ihn kaum verstand. »… einen Krug Wasser.«
Aurelia erhob sich mit schmerzenden Beinen, nahm den Holzteller und stellte ihn zu Boden.Tisch oder Hocker gab es nicht, nur einen Zuber für ihre Notdurft. Sie setzte sich auf die Pritsche, als der Riegel wieder zugeschoben wurde. In den Ecken raschelte es, die Ratten wurden vom Kräuterbrot angelockt. Aurelia wollte sie schon mit einem Zischen vertreiben, da erkannte sie im Dämmerlicht, wie ein helles Näschen an dem Brot roch, an dem Stück Käse entlangschnüffelte, über den Teller lief, das Brot von allen Seiten mit der Nasenspitze befühlte – und liegen ließ. Die Ratte huschte zurück in irgendein Mauerloch.
Aurelia erinnerte sich der Worte der Prophetissa auf dem verborgenen Pergament genau. Achtet auf Getier und Pfotenvieh, sie haben feinstofflichen Sinn. Wenn die Ratten den Käse nicht fraßen … Kein Zweifel, man wollte sie vergiften. Der Gedanke versetzte ihr keinen großen Schrecken mehr, sie war längst vom Bischof zum Tode verurteilt. Aber wieso die Mühe mit dem Gift? Wem schadete ihr öffentlicher Tod?
»Wie dumm mich das Verlies macht.« Sie lachte ins Dämmerlicht hinein.
Natürlich, Enhardis! Besser noch, als Aurelia den Hexentod sterben zu sehen, war allemal, dass man sie einfach, wenn sie vorher gestorben wäre, vergaß und mit ihr alle Sünden des Nonnen-Dreigestirns um die Äbtissin. Aurelia sank in ihrem Mantel gegen die Wand. Die Menschen waren so niederträchtig.
War sie eingeschlafen? Ein Lichtstrahl weckte sie. Aurelia beeilte sich. Mit den Fußspitzen schob sie den unberührten Teller in den hellen Schein.
Die saubere Hand des Henkers fasste danach. Zitterte er, oder flackerten draußen die Öllampen? Das Geschirr verschwand, die Luke wurde verriegelt. Aber sie hörte noch lautere
Riegelgeräusche über die Tür gleiten, die im nächsten Augenblick aufsprang. Im grellen Gegenlicht sah der Bärenleib des Henkers ganz schwarz aus. Er kniete sich halb vor sie hin, ein schwerer Schlüsselbund baumelte an der roten Kutte.
Der Hundsblick seiner braunen Augen traf sie. »Bist du krank?«
»Nein.«
»Wieso isst du nicht?« Noch mehr Furchen zeichneten seine Stirn.
Sein Atem roch nach gutem Rotwein. »Das weißt du genau«, sagte Aurelia.
»Du bist wirklich eine Hexe.« Der große Mann, vor dem sich gewiss jeder in der Stadt Speyer fürchtete, duckte sich an der Tür ans Mauerwerk. »Hilfst du mir, bringe ich
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