Die Goldmacherin Historischer Roman
Aurelia wahrnahm. Dass es auch sauber und hell war als Zweites, dann begriff sie erst, wo sie sich befand. Sie stand in der Ecke einer Schreibstube sehr vornehmer Kaufherren. Rotes Leder mit aufgeprägtem Gold bespannte die Wand. Drei große Tische lagen voll mit Warenverzeichnissen, sogar eine Feinwaage
schmückte am Fenster einen kleinen Tisch aus Rosenholz. Die Gold- und Silbergewichte glänzten sorgsam aufgereiht auf einer roten Sammetleiste.
»Da bist du ja endlich. Setz dich.« Der päpstliche Abgesandte saß im schwarzen Amtsumhang an einem grün gedeckten Tischchen im Erker. In zwei Kristallgläsern und einer Karaffe voll Wein spiegelte sich das Licht. Er goss ihr ein.
Aurelia blieb stehen. »Was soll ich hier?«
Von Rüdesheim lächelte. Aurelia war nicht gefasst darauf, dass das runde Gesicht des strengen Legaten dadurch fast liebenswürdig wirkte, wie das eines lustigen Gesellen beim Tanz. »Nimm einen Schluck, das Trinken musst du nun üben.«
Sie ließ sich auf den zweiten Stuhl im Erker nieder. Durch die Fenster konnte sie zum Treiben auf dem Wollmarkt spähen.
»Ein ausgezeichneter Tropfen aus dem Land der Ungarn«, erklärte von Rüdesheim.
Aurelia genoss den fruchtig-süßen Geschmack. »Tokaj«, sagte sie beiläufig.
Der Legat vergaß die Karaffe zu verpfropfen, sein Lächeln wich einem offenen Mund. »Potzblitz«, flüsterte er.
Es war keine Kunst. In Köln hatte Aurelia mit ihrem Vater lange bei einem der größten Weinhändler zur Miete gelebt und manche Traube verköstigen dürfen.
»Desto besser.«Von Rüdesheim hatte sich wieder gefangen. Er ging zu einer der Truhen vor der lederbespannten Wand. »Diese feinen Kleider wirst du nun anlegen.«
»Bitte?« Sie war sich nicht sicher, ob sie recht gehört hatte.
»Du hast versprochen zu gehorchen, Weib.« Der Legat blickte wieder so streng wie eh und je. Seit er ihre Haare geschoren hatte, war sie seiner im Tross nicht mehr ansichtig geworden. Aurelia stand auf.
Die Truhe war voll mit sauber glänzenden Seiden- und Wollsachen. Aurelia fühlte den herrlich weichen Stoff, so fein
und teuer, wie sie ihn nur … Halt! Diese Hose, das weiße linnene Hemd … »Aber das sind ja alles Männerkleider!« Aurelia warf einen weichen Hut mit grüner Feder zurück in die Truhe.
»Gewiss. Aber sie werden dir passen.«
Aurelia wurde aus dem Funkeln in seinen braunen Augen nicht schlau. Die Marketenderinnen der Straßen hatten Geschichten von den Gelüsten der Männer erzählt, die seltsamer nicht sein konnten. »Woher kennt Ihr meine Leibmaße?«, fragte sie misstrauisch.
»Mein Diener Arwin kann gut schätzen. Ihr seid fast gleich groß.«
Aurelia griff zum Leinenhemd. »Soll ich etwa dies Unterleibchen tragen?«
»Mehr noch, du sollst hiermit«, er zog ein langes Stück Leinen aus dem Haufen, »alles abbinden, was dich als Frau erkenntlich macht.«
Aurelia starrte den Stoff an.
Der Legat warf ihn ihr vor die Füße. »Deine Brüste sind, Gott sei Dank, nicht so üppig wie bei einer Markthure.«
»Hört«, setzte Aurelia an. »Ich weiß nicht, in welchem lüsternen Spiel Ihr mich missbrauchen wollt, aber …«
Er lachte sie aus, frei und laut. »Bilde dir nichts auf deinen schmalen Leib ein. Für solcherlei müsste ich mir nicht die Mühe machen, dich zu verkleiden.« Er trat auf sie zu. »Höre. Nicht das lüsterne, evagleiche Sündenweib soll die Welt von nun an in dir erblicken, sondern das Abbild eines vielgereisten Alchemicus.«
War der Legat vom Reisen irre? Aurelia sank mit der Hüfte rückwärts gegen die Truhe und starrte auf die grüne Hutfeder darin.
»Zieh dich jetzt um«, befahl von Rüdesheim. Er trat zum Erker und sah hinunter zum Markt.
Aurelia warf ihren Wollmantel und das Unterzeug auf den
Boden. Das feine Leinen des Unterzeugs glitt über ihre Haut. Die langen Beinlinge waren seltsam und spannten auf ihren Hüften, so rund waren Männer dort nicht. Dafür hatte das Zeug eine geknöpfte Lasche vorn, wo deren Hahn seinen Platz fand. Romuald hatte so in weißen Hosen vor ihr gestanden. Bittersüß tauchte die Erinnerung auf, als sie die Binde um die Brust wand, festzog, das Unterhemd überwarf und die schwarzen Wollhosen anzog. Das Hemd glänzte wie von Seide und war sehr glatt, der Halbmantel lang und schwarz.
Aurelia fand sogar feste Stiefel und schwarze Ziegenlederhandschuhe am Boden der Truhe.
Vater hätte eine andere Farbe getragen. »Die Alchemie ist blau wie das Unendliche, nicht schwarz wie alles Tote«, erklärte
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