Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
von seinen freundlichen Worten.
»Ich bin der Fron. Hier ist Waschzeug und etwas zum Anziehen.«
Er stellte die Sachen auf dem Boden ab, rümpfte die Nase und trat zurück. »Mir wurde aufgetragen, dafür zu sorgen, dass Ihr ordentlich zur Verhandlung erscheint.«
»Ich soll mich also waschen, damit niemand bemerkt, wie schlecht ich hier behandelt werde.« Cristins Stimme triefte vor Hohn.
Zögernd trat er näher und musterte sie. »Möge Gott Eurer Seele gnädig sein.«
Die letzten Worte des Mannes legten sich wie Balsam um ihre Seele und ließen ihren Wall aus Angst und Verbitterung in sich zusammenfallen. Sie machte einen Schritt auf ihn zu. »Danke. Entschuldigt.«
Die Tür schloss sich, und sie schaute zu der Waschschüssel hinüber, die er ihr hingestellt hatte. Das Wasser war kalt, aber sauber. Ein einfaches Leinentuch und ein Stück Seife lagen daneben, sogar an einen Hornkamm hatte er gedacht. Dankbar schloss sie zwei Herzschläge lang die Augen, dann zog sie ihr Kleid aus.
19
E ine Stunde später wurde die Tür erneut geöffnet. Zwei Büttel betraten die Zelle und forderten sie auf, sich zu erheben und mit ihnen zu kommen. Als Cristin zwischen den beiden Männern die Treppenstufen hinaufstieg, blieb sie stehen. »Könnt ihr mir sagen, wessen man mich beschuldigt?«
Der Büttel, der vor ihr ging, ein kräftiger Mann mit buschigen, in der Mitte zusammengewachsenen Augenbrauen, wandte sich um. »Das solltest du am besten wissen, du Hexe.«
Cristin erstarrte. Hexe? »Wo bringt ihr mich hin?«, flüsterte sie, während der kräftige Büttel vor ihr die schwere Eichenholztür aufstieß. Geblendet vom hellen Sonnenlicht kniff sie die Augen zusammen, blieb erneut stehen. Es musste geregnet haben, die Steine unter ihren Füßen waren noch feucht, die Luft frisch. Tief sog die junge Frau sie ein.
Der andere Büttel versetzte ihr einen unsanften Schubs. »Geh weiter, man erwartet uns auf dem Marktplatz.«
Cristin schauderte. Man klagte sie an, eine Hexe zu sein! Ein paar Männer und Frauen, Bürger Lübecks, die sie offenbar erkannten, wandten die Köpfe, tuschelten und sahen ihr nach, während man sie über das regennasse Pflaster führte. Sie bogen um die mächtigen Backsteinmauern von St. Marien, wo zwischen Kirche und Rathaus ein fast mannshohes Podium errichtet worden war.
»Vorwärts, die Leiter hinauf«, hörte sie den kleineren der beiden Büttel zischen, als er sie auf das Podium zuschob. »Hier wird man dir den Prozess machen. Wegen Hexerei und Mord an deinem Ehemann!«
Ein ersticktes Röcheln entrang sich ihrer Kehle, dann wurde ihr schwarz vor Augen.
Vor dem Haus in der Engelsche Grove angekommen, klopfte Baldo an die Tür. Ein Blondschopf lugte heraus.
»Ach, du bist es«, freute sich Hans. »Komm rein.«
Nachdem die jungen Männer sich mit warmer Milch gestärkt hatten, eröffnete Hans das Gespräch.
»Deinen Hund haben wir zur Nachbarin geben müssen, zur alten Kunigunde, du weißt schon.«
Baldo erschrak. »Wieso? Was ist passiert? Dein Vater?«
»Ja. Er hat ihn draußen gehört. Da hab ich ihn schnell zu ihr rübergebracht. Kunigunde mag Hunde, aber du musst ihn bald abholen.«
Der Hund begrüßte ihn mit wedelndem Schwanz und machte einen munteren Eindruck. Baldo war erleichtert und verbrachte eine ausgelassene Stunde mit ihm, bevor er sich schweren Herzens verabschiedete.
Tief in Gedanken versunken, schritt er gemächlich den Weg zurück. Für einen kurzen Moment überlegte er, ob er nicht die rothaarige Ida besuchen sollte. Besser, ich bin rechtzeitig zu Hause, entschied Baldo, obwohl er sich immer öfter dabei ertappte, Gründe zu suchen, um das Zusammentreffen mit seinem Vater hinauszuzögern. Munteres Stimmengewirr drang an seine Ohren, und er hob verdutzt die Brauen, als er den überfüllten Marktplatz zwischen Fronerei und St. Marien erreichte. Die Stände der Fleischhauer waren zu dieser Stunde doch längst abgebaut! Von allen Seiten strömten die Leute herbei, um zu sehen, was hier vor sich ging, und auch Baldo trat näher.
Ein Podest war errichtet worden, auf das eine schmale Holztreppe hinaufführte. Jetzt schafften mehrere Männer ein Stehpult, einen Schemel und einen breiten Polsterstuhl heran. Ein fülliger Mann in einer dunklen Robe, auf dem Kopf eine ebensolche Kappe, stieg auf die Bühne und nahm darauf Platz. Es war Vogt Büttenwart, Lübecks oberster Richteherr. Zwei weitere Männer folgten ihm auf das Podest, der Stadtschreiber und der Fiskal. Baldo
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