Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
lächerlich fortzuschieben. Lukas war vergiftet worden. Ganz deutlich hatte sie es gespürt. Jemand musste ihm Gift ins Essen gemischt haben. Cristin schüttelte den Kopf. Das war absurd! Jedermann, der Lukas gekannt hatte, sprach nur mit Hochachtung von ihm. Dennoch, eine fremde Substanz hatte seinen Leib zerstört. Cristin erhob sich ruckartig und stürmte aus der Kammer.
16
D ie Sonne schien, und es versprach, ein milder Tag zu werden. Der Flieder würde bald blühen, und die Rosen setzten erste Knospen an. Cristin bog in die Bleschhowerstrate ein, ging langsam an der mehrstöckigen Fronerei vorbei und stand bald auf dem Marktplatz, der sich zwischen Rathaus und St. Marien erstreckte. Ganz blank, wie glatt poliert, schien das Pflaster von den Füßen der vielen Menschen, die sich hier täglich aufhielten. Tauben gurrten und warteten auf herunterfallende Leckerbissen. Die beiden Türme der Kirche aus rotem Backstein ragten hundertfünfundzwanzig Meter hoch in den klaren, nahezu wolkenlosen Himmel. Fast hundert Jahre, hatte Cristin sagen hören, hätten die Bürger der Hansestadt Geld für den Bau des mächtigen Gotteshauses, eines der drei größten im ganzen Reich, gesammelt. Einmal in der Woche fand hier der Markt statt.
Cristin hatte Minna gebeten, auf das Kind zu achten, damit sie ein paar Besorgungen machen konnte, und die Ältere war erfreut gewesen, ihr Spinnrad für eine Weile verlassen zu können. Nun tauchte sie ein in das Gedränge von Händlern, Marktschreiern, Frauen und Kindern. Markttag, das war Tratsch und Lachen, Gegacker von Hühnern und Schweinegrunzen, war der Duft von gebackenem Brot, von gebratenem Fleisch und eingelegtem Fisch. Cristin hatte das alles immer geliebt, doch nun konnte sie nichts mehr erfreuen, zu unvorstellbar war der Gedanke, ohne Lukas weiterleben zu müssen. Und dies mit dem sicheren Gefühl, dass ihr Mann vergiftet worden war. Sie schluckte. Mit einem Tüchlein aus dem Beutel an ihrem Gürtel trocknete sie ihr Gesicht und ging weiter.
Sie steuerte einen schmalen Gang nahe dem Seitenschiff der Kirche an, wo die Kräuterweiber und Gewürzhändler ihre Stände errichtet hatten und getrockneten Salbei und Liebstöckel, frischen Bärlauch, Minze und Zwiebeln, aber auch teuren Safran und Kardamom feilboten. Am Stand eines jungen, gut gekleideten Mannes kaufte sie etwas Thymian, da Elisabeth seit gestern unter heftigen Blähungen litt, am nächsten Stand Zwiebeln und ein Bund Fenchel. In einem weiteren Gang, in dem die Bäcker ihre Buden aufgebaut hatten, ließ sie sich einen frischen Laib Gerstenbrot einpacken. Als sie ihn zu den anderen Sachen in den Weidenkorb legen wollte, hörte sie jemand ihren Namen sagen.
»Cristin Bremer?«
Die barsche Stimme ließ sie herumfahren. Zwei Männer in einfachen Wämsern standen vor ihr. Der eine hochgewachsen und kahlköpfig unter dem Filzhut, der andere etwas kleiner, aber deutlich kräftiger. An beiden Gürteln baumelten spitze Dolche.
Cristin hob eine Braue. »Ja?«
Ehe sie es sich versah, streckte der größere die Hand nach ihr aus und ergriff ihren linken Unterarm.
»Was soll das? Wer seid ihr?«, stieß sie empört hervor. »Lasst mich sofort los!«
»Wir haben Befehl, dich mitzunehmen, Weib!«
»Das muss ein Irrtum sein!«
Der kleinere der beiden Männer leckte sich über die fleischigen Lippen. »Kaum. Wir sind Fronboten. Du sollst zu einer Vernehmung erscheinen.«
»Vernehmung? Wozu?«
»Das wird man dir dort sagen.«
»Aber ich muss nach Hause. Mein Kind …«
»… ist versorgt. Man kümmert sich um das Balg.«
Die Kerle meinten es offenbar ernst. »Bitte«, brachte sie mühsam hervor, »ich komme ja mit. Aber lasst mich wenigstens nach meinem Kind sehen!« Elisabeth, mein Gott! Ihr Herz pochte schmerzhaft gegen die Rippen. »Bitte. Ich muss wissen, ob es ihr gutgeht.«
Die Männer schwiegen. Unter den neugierigen Blicken der Leute führten die beiden sie über den Marktplatz zur Fronerei hinüber, wo ein Wächter sie bereits vor der Tür erwartete. Cristin trat zwischen den Bütteln ein. Zur Linken konnte sie die Treppe erkennen, die in den Keller hinabführte. Von unten drangen Rufe der Gefangenen herauf, Ehebrecherinnen, Diebe und Betrüger, die auf ihre Verhandlung oder Verurteilung warteten. Das Jammern eines Mannes und kurz darauf gellende Schreie aus dem Torturkeller jagten ein Beben durch ihren Leib. Ein weiterer Wächter schloss eine Zelle auf, und die Büttel führten sie hinein. Bestialischer
Weitere Kostenlose Bücher