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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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kannte sie. Wieder so ein armes Schwein, dem der Prozess gemacht wird, überlegte er und schaute sich um. Dies war nicht die erste Gerichtsverhandlung, der er beiwohnte. Nacheinander kletterten zwölf weitere Männer auf die Bühne. Baldo verzog das Gesicht ob der kostbaren, pelzbesetzten Mäntel über den farbigen Schecken und der teuren Schnabelschuhe an den Füßen. Die Schöffen, ausgewählt aus Lübecks Bürgerschaft, allesamt Leute, die mit seinesgleichen nichts zu tun haben wollten.
    Eine junge Frau, in einfaches Leinen gekleidet und ohne Schuhe an den Füßen, wurde von zwei Bütteln auf das Podium geführt. Einer der Männer sagte etwas zu ihr, und im nächsten Moment sank die Frau zu Boden. Einige Augenblicke lang lag sie auf den Brettern des Podestes. Baldo schob sich näher heran und verfolgte, wie einer der Büttel ihren nackten Arm ergriff und kräftig daran zog.
    »He, wach auf!« Die Frau bewegte sich, schlug die Augen auf. »Hoch mit dir!«, befahl der Mann. Mühsam erhob sie sich, taumelnd.
    »Setz dich«, hörte Baldo den zweiten Büttel zischen. Er drückte die Frau auf den Schemel, gegenüber vom Richteherrn Büttenwart.
    Ein hübsches Ding, dachte Baldo, vermutlich eine Hure, die ihren Freier bestohlen hat. Darauf stand Brandmarken. Vielleicht schnitt man ihr auch einen Finger oder ein Ohr ab. Oder sie war eine Ehebrecherin, die man erwischt hatte. Dann würde der Richteherr sie wahrscheinlich dazu verurteilen, von ihrem Liebhaber in einer Schubkarre durch die Straßen geschoben und von jedermann mit Unrat beworfen zu werden. Oder sie wurde an den Kaak gestellt, den Pranger Lübecks, und in einen Schandmantel gebunden. Baldo fröstelte. Nicht allzu lange war es her, als auf dem Marktplatz ein Mann in diesen aus Holz gefertigten und von innen mit Blech ausgelegten Mantel gezwängt worden war. An die Halsöffnung mussten Gewichte gehängt worden sein, denn der Delinquent hatte unter seiner Last erbarmungswürdig gestöhnt. Gut sichtbar neben ihm hatte man ein Schild anbringen lassen. Eine Spotttafel, sodass jeder, der lesen konnte, auch erfuhr, welchen Verbrechens der Mann für schuldig erachtet worden war. Das Wort Dieb habe darauf gestanden, hatte jemand Baldo erzählt. Er war kurz stehen geblieben, während Neugierde und Abscheu in ihm kämpften, und Baldo hatte beobachtet, wie Schaulustige den Mann ohrfeigten und mit rohen Eiern bewarfen. Als künftiger Scharfrichter der Stadt durften ihn derartige Schauspiele nicht berühren. Er spuckte aus. Sie taten es dennoch.

20
     
    S chon immer war es Usus gewesen, Gericht unter freiem Himmel zu halten, zu allen Zeiten hatte es die Menschen geradezu magisch angezogen, versprach ein Gerichtstag doch etwas Kurzweil im täglichen Einerlei. Auch an diesem Frühlingstag im Jahr 1397 des Herrn waren Dutzende Bürger und Nichtbürger, Bettler und Hübschlerinnen herbeigeströmt, um dem Prozess gegen die Frau beizuwohnen, die den bei der Lübecker Bürgerschaft geachteten Kaufmann Lukas Bremer ermordet haben sollte. Die Sonne warf ihr gleißendes Licht auf den überfüllten Platz, als strafe sie die beklemmende Stimmung Lügen. Schon umgab ein dichter Kreis aus Leibern das am Vorabend eilig zusammengezimmerte Podest, auf dem das Schauspiel stattfinden sollte. Ein Schauspiel, dessen Hauptdarsteller sich bereits auf der Bühne befanden. Auf einem Schemel die junge, hübsche Witwe, das rotblonde Haar mit einem dünnen Tuch bedeckt. Ihr gegenüber, auf einem gepolsterten Stuhl, ein wohlbeleibter Mann von knapp fünfzig Lenzen in dunkler Richterrobe. An einem schmalen Stehpult der Stadtschreiber, ein schmalbrüstiger Mann mit einer Stegbrille auf der Nase, der die Verhandlung protokollieren sollte. An der Seite des Gerüsts schließlich ein Dutzend Männer, die Schöffen, allesamt wohlhabende Bürger, die sich am Ende der Verhandlung auf ein Urteil einigen mussten.
     
    Cristin ließ den Blick verstohlen über die Anwesenden schweifen, von denen einige ihr bekannt waren. Nikolaus Runge, einer der vier Bürgermeister, Kunolf Mangel, Fiskal und Vertreter der Stadt bei Gerichtsverhandlungen. Konrad Küppers, der Medicus, sowie Hilmar Lüttke, ein reicher Salzhändler, beide ebenfalls einflussreiche Bürger Lübecks. Mit Runge und Lüttke hatte Lukas bereits geschäftlich zu tun gehabt, genauso wie mit einigen anderen, die sich jetzt in den Reihen der Schaulustigen befanden. Und natürlich der Vogt selbst. Büttenwart, der Richteherr Lübecks. Der Mann, mit dem sie zu

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