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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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und das Kleid benetzten. Noch immer meinte sie, das widerliche Geschlecht des Wärters in sich zu spüren. Dies hier war nicht mehr ihr Körper, es war eine durch Erniedrigung und Schmerz geschundene Hülle, die nach seinem Schweiß stank. Angeekelt verzog sie das Gesicht. Warum gab es in dieser schrecklichen Zelle nicht einmal eine Waschschüssel? Cristin barg den Kopf auf ihre Knie und wiegte sich hin und her. Milch schoss ihr in die Brüste, die sich hart und heiß anfühlten. Sie wimmerte. Elisabeth, sie wird Hunger haben, dachte sie. Jegliches Zeitgefühl ging ihr verloren, während sie sich wie ein kleines Kind auf dem Boden zusammenrollte. Ein jäher Schmerz jagte durch ihren wunden Unterleib. Mein Gott. Sie richtete sich auf. An der Zellenwand gegenüber hingen dicke Wassertropfen, einer löste sich und fiel zu Boden. Kälte schlich sich in ihre Glieder und machte sie gefühllos. Alles wird sich aufklären. Keine Angst, Elisabeth. Das durch das Fenster dringende Licht wurde spärlicher. Schatten hüllten sie ein und verschluckten gnädig den Anblick von Dreck, Insekten und ihrem Blut.
     
    Von Unruhe getrieben, starrte Cristin an die kargen, durch die Jahre geschwärzten Wände, dann erhob sie sich ruckartig und ging in der Zelle umher. Warum war sie hier? Warum sperrte man sie in diese enge Zelle? Die Luft war dünn, und der Geruch der eigenen Exkremente löste Brechreiz in ihr aus. Was, wenn das Scheusal es noch einmal tat? Wenn er nun auf den Geschmack gekommen war und sein abartiges Spiel wiederholen wollte? Im letzten Moment erreichte sie die Abflussrinne.
    Mit erhitztem Gesicht lehnte sich Cristin danach mit der Stirn gegen das Gitter und wartete, bis der Sturm in ihrem Inneren abflaute. Sie wischte sich den Mund an einem Zipfel ihres Kleides ab und spuckte aus, um den widerwärtigen Geschmack loszuwerden. Als das Blut in ihre Wangen zurückkehrte, hob sie den Kopf, atmete tief ein und verharrte. Durch das Fenster hörte sie Lachen und das Knarren der Räder eines Eselkarrens, der die Straße passierte. Mit weit ausholenden Schritten ging sie in der engen Zelle auf und ab, immer wieder, von einer Ecke zur anderen. Eins, zwei, drei, vier. Fünf Schritte zur einen und vier zur anderen Seite. Eins, zwei … Die Wände schienen näher zu rücken. Unaufhaltsam. Der Puls pochte hart an ihrer Schläfe. Bis sie vor der Tür stehen blieb und mit geballter Faust darauf einschlug. »Lasst mich hier raus! Oh Gott, lasst mich endlich gehen!« Doch ihre Schreie verhallten ungehört zwischen den dicken Mauern der Fronerei.

18
     
    M üde fuhr Cristin sich durch die langen Haare, versuchte sie zu glätten. Wie lange war sie jetzt schon hier? Als sie am vorigen Morgen aus dem kleinen, vergitterten Fenster gesehen hatte, waren ein paar Kräuterweiber und Gemüsehändler damit beschäftigt gewesen, ihre Stände aufzubauen. Eine ganze Woche war es also bereits her, seit die Büttel sie verhaftet und zur Fronerei gebracht hatten.
    An der Tür war ein Geräusch zu hören, das Klirren des Riegels, der zurückgezogen wurde. Cristin hob den Kopf. Der Wärter mit dem Essen trat ein, und sie wich in die hinterste Ecke zurück. Ihr Herz begann zu rasen, als er auf sie zukam und seinen Blick abschätzig über ihre Gestalt wandern ließ. Sie hielt den Atem an, erwartete das Unvermeidliche, doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen baute der Wärter sich breitbeinig vor ihr auf.
    »Deine letzte Mahlzeit hier. Heute wird dir der Prozess gemacht, du Luder!«
    In der Suppe schwamm ein Stück Fleisch unbekannter Herkunft.
    Heute also würde sie endlich erfahren, wessen man sie beschuldigte. Alles würde aufgeklärt werden und die Wahrheit ans Licht kommen. »Ich bin unschuldig«, sagte sie mit fester Stimme.
    Der Wärter stellte die Schüssel auf den Boden und verzog den Mund. »Das behaupten sie alle, aber wenn es ans Sterben geht, dann schreien sie und gestehen alles.« Leise fiel die Holztür hinter ihm ins Schloss.
    Ans Sterben. Alles in ihr gefror zu Eis. Mit unbewegter Miene betrachtete sie den Inhalt der Schüssel, nahm sie – und warf sie gegen die Wand.
     
    Erneut wurde der Riegel der Tür zurückgezogen, doch Cristin reagierte nicht. Sie hörte schwere, schlurfende Schritte, dann berührte eine Hand sie an der Schulter.
    »Ich weiß, dass Ihr nicht schlaft.«
    Diese Stimme hatte sie noch nie gehört. Sie hob den Kopf und sah direkt in das faltige Gesicht eines Mannes. »Wer seid Ihr?«, murmelte sie, ein wenig überrascht

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