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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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Abend gegessen und getrunken hatten. Der Mann, für den sie die Hochzeitsroben bestickt hatte. Der beste Kunde der Goldspinnerei. Er würde über sie richten.
    Cristin senkte die Lider. Nicht einer von ihnen getraute sich, ihr in die Augen zu schauen, ihr zuzunicken oder ein anderes Zeichen der Verbundenheit und des Mitgefühls zu zeigen. Einige von ihnen unterhielten sich leise und warfen ihr neugierige Blicke zu, und Cristins Wangen röteten sich vor Scham. Glaubten die Menschen tatsächlich, sie könnte Lukas umgebracht haben? Ja. Die Erkenntnis durchzuckte sie wie ein Schlag. Zumindest hielten sie es für möglich. Verurteilt und verachtet, bevor das Urteil überhaupt gesprochen war. Cristin ertrug die Sensationslust, die wie Feuer in ihrer Seele brannte, nicht mehr. Auf einem der imponierenden Giebelhäuser entdeckte sie einen Schwarm Tauben, die sich die Frühlingssonne aufs Gefieder scheinen ließen. Ihr Herz machte einen schmerzhaften Satz. Diese Vögel waren frei, konnten fortfliegen, wann immer sie wollten. Tief atmete sie die frische Luft ein. Was würde jetzt mit ihr geschehen? Wer kümmerte sich um Elisabeth? Sicher hatten die Büttel Lynhard verständigt, und Mechthild und er hatten die Kleine zu sich genommen, versuchte sie sich zu beruhigen.
    Kunolf Mangel, ein junger Kerl von vielleicht vierundzwanzig Jahren, verlas die Namen der Männer, die Vogt Büttenwart als Schöffen berufen hatte. Ein Priester trat vor und betete, das Verfahren möge gerecht und Gott wohlgefällig verlaufen, dann übergab er das Wort an den Richteherrn.
    »Erhebt Euch!«, forderte der Mann auf dem gepolsterten Stuhl sie auf.
    Sie gehorchte.
    Büttenwart nickte. »Gut, Cristin Bremer. Ihr wisst, wessen Ihr im Namen des edlen und weisen Rates der Stadt Lübeck angeklagt werdet?«
    Die junge Frau wagte nicht aufzuschauen. »Man bezichtigt mich der Zauberei und des Mordes an meinem Mann Lukas. Doch nichts davon ist wahr! Auch wenn man mir noch so sehr droht und …«
    »Schweigt.« Auf der Stirn des Richteherren bildete sich eine steile Zornesfalte. »Es gibt Zeugen!«
    »Die möchte ich sehen!« Sie biss sich auf die Unterlippe.
    »Ich sagte, Ihr sollt …«
    »Entschuldigt bitte.« Sie schaute zur Seite, wo der Stadtschreiber hinter seinem Stehpult begonnen hatte, Protokoll zu führen.
    »Das sollt Ihr. Mechthild Bremer soll herbeigeführt werden.«
    Cristin atmete auf. Mechthild! Der heiligen Mutter Gottes sei Dank! Sie wird bestätigen können, wie unsinnig diese furchtbaren Beschuldigungen sind, dachte sie und hatte Mühe, ihre Erlösung zu verbergen.
    Die Sonne blendete. Zwischen den gaffenden Menschen bildete sich eine schmale Gasse vor der kleinen Holztreppe, und Mechthild erklomm an der Seite eines Büttels das Podest. Der Vogt beugte sich vor und fixierte die junge Frau. Richtig herausgeputzt hat sie sich, dachte Cristin. Ihre Schwägerin hatte das glanzlose, hochgesteckte Haar unter einem Hennin, einer kegelförmigen Leinenkappe mit dem über die Schultern fallenden Schleier, verborgen. An dem breiten Stoffgürtel, der ihre schmale Hüften umgab, hingen Geldkatze, Parfümdöschen und Rosenkranz, wie es sich für eine feine Dame gehörte.
    Cristin lächelte Mechthild an, doch diese wich ihrem Blick aus.
    »Tretet vor und wiederholt Eure Aussage, die Ihr gestern Morgen vor dem Fiskal gemacht habt! Und denkt dran, dass Ihr die Wahrheit sagen müsst, nichts als die Wahrheit.«
    Cristin sah wie gebannt auf Mechthilds Gesicht. Ja, sag ihnen die Wahrheit.
    Mechthild Bremer nickte, und ihre Wangen verfärbten sich. »Jawohl, Herr Richteherr. Bei der Heiligen Jungfrau und allen Heiligen. Cristin Bremer hat Zauberei getrieben! Sie steht mit dem Teufel im Bunde und hat ihren eigenen Mann umgebracht. Die Hexe hat den Tod verdient …«
    Einen Augenblick herrschte atemlose Stille. Nur das leise Geräusch der über das Pergament kratzenden Gänsefeder in der Hand des Stadtschreibers war zu hören, bis auch das verstummte. Es war Cristin, als griffe eine eiserne Faust nach ihrem Herzen. Alles in ihr erstarrte, und ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Mechthild, ihre eigene Schwägerin, hatte sie angezeigt, sagte gegen sie aus? Die Frau, deren Kinder sie in ihren Armen gewiegt, mit der sie gelacht und geplaudert hatte, beschuldigte sie der abscheulichsten Verbrechen, die ein Mensch begehen konnte? Nur langsam wich die Betäubung von ihr.
    In Mechthilds Miene entdeckte sie wilde Entschlossenheit.
    »Ich danke Euch, Frau Bremer.«

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