Die Gottessucherin
Waterloo.«
»Seltsam«, sagte Diogo. »Ich hätte geschworen, dich schon mal gesehen zu haben. Na gut, du kannst gehen«, entschied er. »Aber klopf in Zukunft an, wenn du was willst.« Gracia wartete, bis die Magd fort war. »Ich bin gegen Euren Plan«, sagte sie dann. »Warum? Aus Mitleid oder aus Angst?«
»Aus Vernunft! Solange sie Reyna haben, dürfen wir sie nicht reizen.«
Diogo zuckte die Schultern. »Aragons Tod würde ihnen eine Lehre sein. Das ist die einzige Sprache, die sie verstehen.« »Oder sie nehmen furchtbare Rache. Habt Ihr vergessen, was sie mit Euch gemacht haben? Außerdem, noch gefährlicher als Aragon ist Cornelius Scheppering.« »Der Dominikaner?«
»Ja«, sagte sie. »Er war es, der Euch die Hand abhacken lassen wollte. Er hat Samuel Usque das Geständnis abgepresst. Er hat mich in Lissabon gezwungen ...« Sie sprach den Satz nicht zu Ende.
»Wozu hat er Euch gezwungen?«
Gracia wich seinem Blick aus. Was damals geschehen war, hatte sie nur einem Menschen anvertraut - Amatus Lusitanus. Aber der hatte sie im Stich gelassen ... »Was schlagt Ihr vor?«, fragte Diogo. »Wollte Gott, ich wüsste es.«
Seit Reyna fort war, hatte Gracia sich vergeblich das Gehirn zermartert, und auch jetzt fiel ihr keine Lösung ein. Die Gedanken in ihrem heißen, schmerzenden Kopf waren zäh wie ineinander verwickelte Leimfäden und führten immer wieder zu demselben unentwirrbaren Knoten. Sobald die Felicidade zurück wäre, ließe sich die Hochzeit nicht länger aufschieben. Aragon war seiner Sache bereits so sicher, dass er Reyna dem Kaiser vorstellen wollte, im Heerenhuys von Boendal. Ein Offizier würde sie dorthin bringen, zusammen mit dem Spanier, der sie nur noch »sein Goldstück« nannte, wie Reyna in ihrer närrischen Verliebtheit selbst geschrieben hatte. Plötzlich hatte sie eine Idee. »Vielleicht gibt es doch noch eine Möglichkeit.« »Dann spannt mich nicht auf die Folter.«
»Wie habt Ihr gesagt?« Sie sah Diogo in die Augen. »Ohne Bräutigam keine Braut? Das Gegenteil gilt genauso: ohne Braut kein Bräutigam.«
Irritiert hob er die Brauen. »Ich verstehe kein Wort.« »Ist das so schwer?« Gracia konnte ein kleines Lächeln nicht unterdrücken. »Wir brauchen jemanden, der sich Zutritt zum Palast der Regentin verschaffen kann, ohne Verdacht zu erregen. Am besten einen Soldaten oder Gardisten.« »Jetzt begreife ich.« Diogos Augen leuchteten auf. »Und ich weiß auch, wer uns helfen kann. Ich werde sofort jemanden losschicken, der ...«
Mitten im Satz verstummte er. Während er ans Fenster trat und schweigend auf den Marktplatz blickte, glaubte Gracia zu ahnen, welche Gedanken in seinem Kopf kreisten. Aber wer weiß, vielleicht war er ja bereit, das Opfer zu bringen - ihr zuliebe. »Ihr meint, der Plan geht nicht auf, nicht wahr?«, fragte sie. »Wenn es uns tatsächlich gelingt, Reyna zu entführen, müssen wir Antwerpen verlassen«, sagte er mit dem Rücken zu ihr. »Zumindest so lange, bis Aragons Wut verraucht ist. Und vielleicht können wir nie wieder hierher zurückkehren ...« Gracia schluckte. Für einen Augenblick hatte sie gehofft, dass Diogo dieses Opfer womöglich auf sich nehmen würde. Aber sie hatte sich getäuscht. Antwerpen war seine Heimat. Nur ein Liebender würde für einen anderen Menschen auf seine Heimat verzichten. Und Diogo liebte sie nicht, auch wenn sie es in einer nächtlichen Stunde fast geglaubt hatte. »Ich verstehe«, sagte sie. »Der Preis ist zu hoch.« Diogo stieß einen Seufzer aus. »Nirgendwo auf der Welt kann es uns bessergehen als hier. Wir sind geachtete Bürger und verdienen mehr Geld, als wir im Leben je ausgeben können. - Aber verflucht!«, sagte er plötzlich, und während er sich zu ihr umdrehte, warf er den Kopf in den Nacken und ballte die Faust. »Wenn die Edomiter uns keine Wahl lassen, dann müssen wir es eben riskieren!«
32
»En garde! Préts? Allez!«
Kaum hatte der Fechtmeister das Kommando gegeben, erhob sich ein wahres Mordsgeschrei. Zwei Dutzend Studenten, die seit dem Morgen ihr Examen in den Bierschenken von Löwen begossen hatten, umringten nun zu mitternächtlicher Stunde die zwei Kontrahenten, die im Gildehaus das Finale des Fechtturniers austrugen, und feuerten sie mit ihren Rufen an.
José ging in Auslage, damit sein Körper eine möglichst geringe Angriffsfläche böte. Sein Gegner war zugleich sein bester Freund, Maximilian, der Neffe von Kaiser Karl und Regentin Maria, ein fast ebenso guter Fechter
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