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Die Gottessucherin

Die Gottessucherin

Titel: Die Gottessucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Prange
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geben, lief er zur Tür. »Die Rechnung! Und einen Wagen! Sofort!«, schrie er dem Wirt nach. Er hatte nur noch einen Gedanken: Er musste zurück zu Reyna, egal wie - je schneller, desto besser! Er suchte seine Kleider zusammen, die in der Kammer verstreut lagen, und stopfte sie in seinen Mantelsack. Noch heute würde er nach Ostia fahren. Und sollte die Esmeralda aus Marseille noch nicht zurück sein, würde er irgendein anderes Schiff nehmen - Hauptsache, es liefe in Richtung Osten aus!
    »Wollt Ihr den zweiten Brief nicht lesen?«, fragte der Bader. »Welchen zweiten Brief? Ach ja, natürlich ...« Während er Reynas Gesicht vor sich sah - die Augen voller Kummer und Schmerz, die Wangen von Tränen überströmt -, öffnete er den Brief ihrer Mutter. Schon beim ersten Satz wurde ihm schwindlig. Gracia teilte ihm mit, dass Reyna den Sohn des Großwesirs heiraten würde, zur Festigung der Freundschaft zwischen dem Haus Mendes und dem Osmanischen Reich ... Plötzlich spürte José wieder jede einzelne Rippe im Leib. »Drückt Euch der Verband?«, fragte der Bader. »Soll ich ihn noch einmal neu anlegen?«
    José schüttelte den Kopf. Er kannte den Sohn des Wesirs, Omar war sein Name - ein blendend aussehender, überaus geistreicher junger Mann, dem man eine große Zukunft voraussagte und der zu allem Überfluss auch noch zehn Jahre jünger war als er selbst. Die Vorstellung, dass Reyna diesen Glücksfall der Schöpfung heiraten würde, machte José fast wahnsinnig vor Eifersucht. Was könnte er tun, um Gracia von dem Irrsinn abzubringen? Ausgerechnet jetzt, da er wie ein Idiot nach Konstantinopel zurückkehrte, als elender Versager, der Schandfleck der Familie ... Tausend Fragen stürzten gleichzeitig auf ihn ein, tausend Fragen und keine einzige Antwort ... Sollte er noch einmal versuchen, eine Audienz im Vatikan zu bekommen? Nein, der Papst würde eher einen Muselmanen heiligsprechen, als ihn ein zweites Mal empfangen ... Sollte er Selim eine Sklavin für seinen Harem mitbringen? Auf Kreta gab es einen Sklavenmarkt mit jeder Menge hübscher Weiber! Doch wenn Gracia mit dem Sultan einig war, was nutzte dann eine kleine Haremsdame? So wenig wie die dreißig Fass Bordeaux im Bauch der Esmeralda ... José fiel nur eine Möglichkeit ein, die Katastrophe abzuwenden. Nur wenn es ihm gelänge, eine Lösung für Ancona zu finden, würde Gracia bereit sein, ihr Wort zu brechen, das sie dem Sultan gegeben hatte.
    Er griff zu seinem Mantelsack und begann darin zu wühlen. »Kann ich Euch behilflich sein?«, fragte der Bader. José gab keine Antwort. Wo war die verfluchte Karte von Italien ? Als er sie endlich fand, breitete er sie auf dem Tisch aus. Er brauchte Ersatz für Ancona. Herzog Ercole wäre ein geeigneter Verbündeter, er führte immer wieder Krieg gegen den Papst, aber Ferrara kam nicht in Frage, die Stadt hatte keinen Seehafen. José fuhr mit dem Finger die adriatische Küste entlang. Schließlich fiel sein Blick auf einen Namen: Pesaro. »Habt Ihr gefunden, was Ihr sucht?« »Vielleicht ...«
    War das die Lösung? Herzog Guidobaldo hatte erst vor kurzem seine Hauptstadt vom Landesinnern ans Meer verlegt, von Urbino nach Pesaro, um den Häfen von Venedig und Ancona Konkurrenz zu machen - er würde für den Vorschlag auf jeden Fall ein offenes Ohr haben. Doch während José die Karte zusammenfaltete, sank seine Zuversicht schon wieder dahin. Nein, er konnte nicht in Italien bleiben. Wenn er in Italien bliebe, würde Reyna zu Hause vor Ungewissheit sterben.
    Ein lautes Gurren riss ihn aus seinen Gedanken. Die Brieftaube! War das die Lösung? Doch als José den Vogel sah, der ihn mit dummen Augen durch die Stäbe seines Käfigs anglotzte, verflog seine Hoffnung so schnell, wie sie gekommen war. Nein, eine so wichtige Botschaft konnte er dem blöden Vieh unmöglich anvertrauen.
    »Wirt!«, rief er. »Verflucht noch mal! Wo bleibst du?«
    Im nächsten Moment erschien der Zwerg in der Tür. »Meine Frau rechnet noch Euer Essen zusammen.«
    »Scheiß auf die Rechnung! Besorg mir einen Kurier! Den schnellsten und zuverlässigsten Mann, den du kennst! Und schaff mir ein Pferd herbei! Gesattelt und gezäumt!«
    »Ich dachte, Ihr wollt einen Wagen?«
    »Hast du keine Ohren?« José versetzte dem Kleinen einen Tritt, so dass der auf allen vieren zurück in den Flur stolperte. »Los! Beeil dich!«
    Bevor er sich auf den Weg machen konnte, musste er noch zwei Briefe schreiben. Auf dem Tisch waren Tinte und Papier. Entschlossen

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