Die Gottessucherin
meinen Mann!« Gracia zuckte bei jedem Wort zusammen. War das wirklich Reyna, ihre Tochter, die so fürchterliche Dinge sagte? Sie bekam eine Gänsehaut, und während sie am ganzen Leib zu zittern begann, schloss sie kurz die Augen. Sie wusste: Ein Mittel gab es noch, um Reyna zur Vernunft zu bringen. Sie hatte gehofft, es nicht anwenden zu müssen, aber jetzt blieb ihr nichts anderes übrig.
»Woher nimmst du überhaupt die Sicherheit, dass José dich liebt?«, fragte sie, so kühl sie konnte.
»Was für eine Frage!«, erwiderte Reyna. »Weshalb würde er mich wohl sonst heiraten wollen?«
»Vielleicht ist er ja auf dein Geld aus? Der arme Verwandte, der die reiche Cousine heiraten will?«
Reyna schnappte nach Luft. »Wie kannst du so etwas Gemeines behaupten?«
Gracia hielt dem Blick ihrer Tochter stand. »Wenn du es genau wissen willst: José hat ein Kind, eine Tochter, mit einer armenischen Tänzerin. Sie heißt Ban Nur und lebt im Harem des Sultans. Ich habe sie selbst gesehen.«
Gracia wusste, wie sehr ihre Worte Reyna verletzen mussten. Aber so bitter die Medizin auch war: Ihre Wirkung verfehlte sie nicht. Gracia kannte ihre Tochter zu gut, um die Zweifel in ihrem Gesicht zu erkennen. Obwohl Reyna sich alle Mühe gab, sie zu verbergen.
»Das ist eine Lüge«, flüsterte sie. »Das glaube ich nicht! Niemals! Das sagst du nur, um mir weh zu tun.« Gracia zuckte die Schultern. »Wenn du mir nicht glauben willst -frag José! Dann wirst du schon sehen.«
12
José schloss die Augen und nahm den Knebel zwischen die Zähne. »Jetzt tut's weh«, sagte der Bader. »Am besten, Ihr denkt an etwas Schönes!«
José versuchte, sich Reynas Gesicht vorzustellen, doch es gelang ihm nicht. Tausend Blitze zuckten durch seinen Schädel, wie ein Gewitter in pechschwarzer Nacht, während der Bader ihm das Knie in den Rücken stemmte und den Verband straff zog. Schon zum zweiten Mal wiederholte er die höllische Prozedur, um den Rippen Halt zu geben, die die Schweizergardisten ihm beim Rauswurf aus dem Papstpalast gebrochen hatten. Beim ersten Mal waren die Knochen schief zusammengewachsen, so dass der Bader sie noch einmal hatte brechen müssen, weil sie ihm sonst vielleicht die Lunge aufgerissen hätten. Um nicht laut aufzuschreien, biss José auf den Knebel. Der verfluchte Bader musste ja bei einem Hufschmied gelernt haben! Während seine Zähne sich in das Beißholz eingruben, perlte ihm vor Schmerz der Schweiß von der Stirn. Noch einmal ein Knirschen und Knacken, dann war es vorbei.
»Werde ich die Kutschfahrt überleben?«, fragte er, als er wieder sprechen konnte.
»Wenn Ihr eine Flasche Branntwein dabeihabt.« Als der Bader seine Tasche packte, quälte José sich in die Höhe. Am nächsten Morgen wollte er nach Ostia fahren, zum römischen Meerhafen, der ein paar Meilen vor der Stadt lag, an der Mündung des Tiber. Dort, so war es ausgemacht, würde ihn die Esmeralda an Bord nehmen, sobald sie aus Marseille zurückkäme, wo Kapitän Dom Felipe inzwischen fünfhundert Fass Bordeaux-Wein besorgt hatte. Dreißig Fässer waren für Prinz Selim bestimmt, als Versöhnungsgeschenk. Nachdem der Papst José zum Teufel gejagt hatte, würde nur noch der Sultan helfen können. Süleyman sollte Carafa zum Einlenken in Ancona zwingen, doch um das zu erreichen, brauchte José die Unterstützung von dessen Lieblingssohn. Die Aussicht, Gracia mit leeren Händen unter die Augen zu treten, war alles andere als verlockend. Sie hatte so hohe Erwartungen in seine Reise gesetzt. Umso größer würde ihre Enttäuschung sein. »Was bin ich dir schuldig?«, fragte er den Bader. »Nicht mehr, als Euch meine Dienste wert sind.« José warf ihm ein paar Münzen zu. Da klopfte es an der Tür. »Herein!«
In der Tür stand der Wirt, ein Zwerg mit einer vor Dreck starren Schürze. In der Hand hielt er zwei Briefe. »Die sind eben für Euch gekommen. Mit der Thurn-und-Taxis-Post.« José erkannte sofort die Schrift. Der eine Brief war von Gracia, der andere von Reyna. Plötzlich waren alle Schmerzen wie weggeblasen. Kaum war er wieder mit dem Bader allein, nahm er das Kuvert mit Reynas Schrift und faltete den Bogen auseinander.
Der Brief bestand nur aus zwei Sätzen: »Hast Du eine Tochter von einer armenischen Haremsfrau? Sag mir die Wahrheit!« »Schlechte Nachrichten?«, fragte der Bader. José spürte, wie ihm das Blut aus den Adern wich. Die Bombe war geplatzt, jemand hatte sein Geheimnis verraten ... Ohne dem Bader Antwort zu
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