Die Gottessucherin
auf der
Praqa
do Rossio gehört. Nun, nach der großen, schrecklichen Heimsuchung, versuchte jeder von ihnen die Botschaft der Worte von damals zu begreifen. War das Beben wirklich ein Zeichen Gottes gewesen? Die Gemeindeältesten deuteten das Geschehen anders als die Vorbeter und diese wiederum anders als die Rabbiner und Gelehrten. Doch jede der Deutungen war erfüllt von der übermächtigen Hoffnung darauf, dass die Erlösung der Juden aus Knechtschaft und Not, die der Orientale verheißen hatte, sich nun an den Marranen von Lissabon erfüllen würde.
Für Gracia Mendes brach eine glückliche Zeit an, und sie glaubte schon, ihr Schicksal hätte sich für immer zum Guten gewendet. Ja, Gott hatte das Reich der Edomiter verwüstet, der Erdboden war geborsten, wie der Morgenländer geweissagt hatte, sogar eine Flutwelle hatte sich bei dem Beben über den Terreiro ergossen, um die neue Residenz des Königs zu vernichten. Ihr Haus jedoch war verschont geblieben, und statt ihr Glück zu zerstören, hatte die Heimsuchung ihr Glück noch vermehrt. Es war, als hätte die Katastrophe ihre Sünde getilgt, um sie ein zweites Mal mit Francisco zu vermählen. Nie hätte Gracia geglaubt, einem Menschen so nah sein zu können, wie sie es ihrem Mann in den folgenden Wochen und Monaten war. Bei Tage fuhren sie zusammen nach Beiern, ins Kontor der Firma, wo Francisco sie in seine Geheimnisse einweihte, ihr die komplizierten Operationen erklärte, durch die er die Handelsgeschäfte in den Dienst der Fluchthilfe stellte. Bei Nacht aber feierten sie ihre Liebe, wie es einst König Salomo und seine Geliebte getan hatten. Sie liebten sich, als könnten sie niemals satt aneinander werden, und alles, was sie taten und teilten, mehrte den Genuss des einen am anderen - selbst die Gebote der Reinheit, die sie nach jeder Blutung für zwei quälend lange Wochen zum Verzicht zwangen, schienen nur dazu geschaffen, ihre Lust zu steigern. Und Reyna, vier Jahre lang ein Zankapfel zwischen ihnen, war nun wie das Schiffchen eines Webstuhls, das die Fäden ihrer Ehe zu einem immer dichteren und innigeren Gewebe miteinander verflocht. Doch nicht alle Juden von Lissabon waren so glücklich wie Gracia und Francisco Mendes. Denn selbst wenn Haschern seinem Volk ein großes und sichtbares Zeichen gesandt hätte, dürften die Juden ihr Schicksal nicht allein der göttlichen Fürsorge überlassen. Die Gefahr der Inquisition schwebte nach wie vor über ihren Häuptern und wurde durch die Wut der Christen, die den Juden Schuld an all ihrem Unglück gaben, noch vermehrt. Warum lebten so viele Marranen weiter in ihren prächtigen Kaufmannshäusern, während Tausende von Christen ihr Hab und Gut verloren hatten?
Das sei die Strafe, so predigten die Dominikaner von den Kanzeln der Kirchen, die der dreifaltige Gott über die Portugiesen verhängt habe, weil sie das fluchbeladene Volk Israel in ihrer Mitte duldeten. Und nach jeder dieser Predigten kam es zu Ausschreitungen in den Straßen, nicht selten mit tödlichen Folgen. Die Zahl der Juden, die außer Landes flohen, nahm darum nach dem Beben noch zu. Zum Glück waren die Kassen der Firma Mendes gut gefüllt. Die Preise für Getreide, die wegen der Dürre ohnehin seit Monaten gestiegen waren, kletterten in so schwindelerregende Höhen, dass eine Schiffsladung Weizen fast so wertvoll wurde wie eine Schiffsladung Pfeffer. Mit seinem Geld verhalf Francisco Mendes Hunderten von Marranen zur Flucht. Doch er brauchte noch mehr, um die Forderungen des Königs zu erfüllen, der mit der Duldung der Juden und dem Wiederaufbau Lissabons die jüdische Gemeinde erpresste. Aus allen Teilen des Landes rief Dom Jono Baumeister und Handwerker zu sich, um die Hauptstadt seines Reiches im alten Glanz wiederauferstehen zu lassen. Ganze Heerscharen von Arbeitern waren allein damit beschäftigt, die Geröllmassen aufzuräumen. In jeder Straße, in jeder Gasse wuchsen Baugerüste in den Himmel, und die Luft war von morgens bis abends erfüllt vom Kreischen der Sägen und vom Schlagen der Hämmer. Wochen und Monate gingen ins Land, bis die schlimmsten Spuren der Verwüstung beseitigt waren. Noch gewaltiger aber als der Verlust von Häusern und Palästen war, wie sich nach und nach herausstellte, der Verlust an Menschenleben. Immer noch wurden neue Opfer aus den Ruinen geborgen, und erst zu Karfreitag im neuen Jahr ließ der Magistrat der Stadt die Zahl der Toten von den Kanzeln verkünden. Tausend und fünf mal hundert Menschen waren
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