Die Gottessucherin
bei dem Erdbeben umgekommen. Doch während im Inferno des Allerheiligen-Festes so viele Gotteskinder ihr Leben hatten lassen müssen, um in den ewigen Frieden des himmlischen Vaters einzugehen, hatte der Allmächtige, am selben Tag und zur selben Stunde, einen Toten ins Leben zurückgeholt. Aus dem geborstenen Erdreich war dieser Tote aufgestiegen, aus dem Untergrund der Hölle, empor gespült aus einer Kloake, um Zeugnis abzulegen vom Wunder der göttlichen Vorsehung.
24
»Kein himmlisches Zeichen«, erklärte Cornelius Scheppering, »vermag ein schwankendes Volk stärker im Glauben zu festigen als ein tüchtiges Erdbeben.«
»Das sagt Ihr im Angesicht solcher Verwüstung? Die halbe Stadt liegt in Trümmern! Sogar eine Residenz des Königs wurde zerstört!«
»Was sind ein paar zerstörte Menschenwerke im Vergleich zum Seelenheil glücklicher Gotteskinder, die zum Glauben zurückgefunden haben? Seht selbst!«
Scharen halbnackter Geißler, die sich mit Ruten und Peitschen blutige Striemen auf Schultern und Rücken beibrachten, folgten der Fronleichnamsprozession, die an eingerüsteten Häusern und Ruinen entlang zur Praca do Rossio zog. Während Cornelius Scheppering mit stummem Segen der Opfer gedachte, die hier den Tod gefunden hatten, betrachtete er zugleich voller Wohlgefallen die blutige Selbstbestrafung der Büßer. Gleich nach seiner Ankunft aus Antwerpen war er zum Castelo de Sao Jorge geeilt, um bei Hofe vorstellig zu werden. Sein römischer Ordensmeister Gran Pietro Carafa hatte ihn hergeschickt, um Aufhellung in eine Angelegenheit zu bringen, die für ihre heilige Sache von unerhörter Bedeutung war. Dabei war höchste Eile geboten. Carafa hatte seiner Depesche die Nachricht hinzugefügt, dass angeblich Diogo Mendes, der Pfefferkönig aus Antwerpen, nach Rom reisen wolle, um den Papst mit jüdischem Geld davon abzuhalten, die Inquisition auch in Portugal einzusetzen. Nun saß Cornelius Scheppering in der Kutsche des Königs, zusammen mit Dom Jono und einem Großsprecher namens Aragon, einem eitlen Pfau spanischen Geblüts, der als Converso-Kommissar der portugiesischen Krone amtierte und während der Fahrt in seinem albernen goldenen Stierkämpferanzug mit aufgeblähter Brust und durchgedrücktem Rücken immer wieder selbstverliebt seinen Spitzbart glattstrich. An der Spitze der Pro-
Zession, gleich nach dem Bischof und den Priestern mit der Monstranz, schwebte auf den Schultern leibesstarker Diakone eine aufgebahrte Leiche über den Köpfen der Menge. Frauen und Männer, Kinder und Greise, vor allem aber zahllose Sieche und Kranke streckten die Hände nach dem unsichtbaren Toten aus, um einen Zipfel des Leichentuchs zu berühren, als würden sie sich davon Heilung erhoffen. Angeblich hatte die Leiche schon Dutzende von Wundern bewirkt.
»Wer mag dieser Mensch wohl gewesen sein?«, fragte der König sinnierend.
»Der Tote?«, fragte Cornelius Scheppering zurück. »Wenn mich nicht alles täuscht, hieß seine sterbliche Hülle Enrique Nunes.« »Ich habe nie von einem Mann solchen Namens gehört.« »Wirklich nicht?«
Er blickte den König prüfend an. Doch der schüttelte den Kopf. »Wie auch immer«, fuhr Cornelius fort. »Nunes war vor einigen Jahren im Auftrag meines Ordens in Lissabon, um Beweise gegen die Conversos zu sammeln. Ein frommer Jünger des Herrn, obwohl ursprünglich selbst ein Jude. Ein Täufling, der das Gnadengeschenk der Taufe mit reuigem Herzen angenommen hat. Sein Wiederauftauchen ist eine wahre Fügung des Himmels und verpflichtet uns, für möglichst rasche Aufhellung der Umstände seines Todes zu sorgen.«
Mit einem heftigen Ruck kam die Kutsche zum Stehen. Vor ihnen herrschte heiliger Aufruhr. Ein Krüppel, dem es gelungen war, das Leichentuch zu küssen, warf gerade seine Krücken fort. »Das Erdbeben hat den Toten ausgespuckt«, erklärte Aragon. »Eine mumifizierte Leiche. Sie wurde beim alten Fischmarkt gefunden.«
»Das klingt ja tatsächlich wie ein Wunder«, erwiderte Dom Jono. »Erstaunlich, erstaunlich.«
»Der Mann wurde umgebracht, wir haben Spuren von einem Messer an seinen Knochen gefunden. Manche glauben allerdings, er wäre aus dem Totenreich zurückgekommen.«
»Ein zweiter Lazarus gar?«
»Wenn Ihr mich fragt«, sagte Cornelius Scheppering, »gibt es daran keinen Zweifel!«
»Unsinn«, widersprach der Converso-Kommissar. »An der Sache ist nichts Wunderbares. Die Mumifizierung rührt von den giftigen Ausdünstungen der Kloake her, in der man
Weitere Kostenlose Bücher